next up previous contents
Next: Gedächtniseffekte Up: Farbwahrnehmung und Kontexteffekte Previous: Erklärungsansätze

Adaptationseffekte

 

Nur wenige der bisher dargestellten Theorien der Farbwahrnehmung berücksichtigen deren Kontextabhängigkeit, die in diesem Abschnitt behandelt wird: Die wahrgenommene Farbe eines Objekts oder einer Lichtquelle hängt nicht nur vom davon reflektierten bzw. ausgesandten Strahlungsspektrum im sichtbaren Bereich ab, sondern auch von Beleuchtungs- und Umgebungsbedingungen, die eine als Adaptation bezeichnete Veränderung der Farbe bewirken. In dieser Arbeit soll untersucht werden, ob Adaptationseffekte dazu führen können, daß in einem bestimmten Kontext keine Farben existieren, die genauso aussehen wie in einem anderen Kontext präsentierte hochgesättigte Farben. Dazu werden zuerst Kontexteffekte und Ansätze zu deren Vorhersage beschrieben, anschließend wird das Phänomen der sogenannten hypersaturierten Farben diskutiert.

Übersicht

Kontexte können also Farben verändern. Sogenannte räumliche Kontexte umschließen einen gleichzeitig sichtbaren Zielreiz und sind im Verhältnis zu diesem relativ groß. Bei den zur experimentellen Bestimmung von Kontexteffekten oft eingesetzten sogenannten infield-surround-Konfigurationen ist ein etwa 2tex2html_wrap_inline7296 großer Zielreiz ringsum von einem beispielsweise 10tex2html_wrap_inline7296 großen Umfeld umgeben. Durch Erstellen von kontextübergreifenden Farbabgleichen (cross context matches) läßt sich die Veränderung einer Farbe aufgrund ihres Umfeldes untersuchen: In einer Hälfte eines zweigeteilten Feldes wird ein Standardreiz A vor einem Kontext S vorgegeben. Ein in der anderen Hälfte vor einem andersfarbigen Kontext T präsentierter Vergleichsreiz B soll dann so eingestellt werden, daß er gleichfarbig zu dem Standardreiz erscheint. Bei der sogenannten haploskopischen Darbietung wird die linke Hälfte des präsentierten Reizmaterials dem linken Auge der Versuchsperson präsentiert und die rechte Hälfte dem rechten Auge.

Ein zeitlicher Kontext kann die Farbe eines Reizes dadurch verändern, daß durch vorheriges länger andauerndes Fixieren eines andersfarbigen Reizes eine Adaptation an diesen stattgefunden hat. Zur experimentellen Untersuchung dieses Effekts kann beispielsweise eine 30 Minuten andauernde Präsentation eines Kontextes in bestimmten Intervallen (z.B. alle zwei Minuten) für einige Millisekunden durch Darbietung eines Zielreizes unterbrochen werden. Räumlicher und zeitlicher Kontext führen zu Adaptationseffekten, die als Simultankontrast bzw. Sukzessivkontrast bezeichnet werden, wobei Ware und Cowan (1982) die Auswirkung des Simultankontrasts auch als Induktion bezeichnen. Mausfeld (1998) weist darauf hin, daß in Experimenten zur Auswirkung von Kontrasteffekten oft nicht genau unterschieden wird zwischen den verschiedenen Arten der Adaptation und daß über deren genaues Zusammenwirken noch relativ wenig bekannt ist.

Auch wenn Kontexteffekte zu Farbveränderungen führen, bleiben normalerweise Farbgleichheiten unter verschiedenen Kontexten erhalten. Diese Gesetzmäßigkeit, die bei einer Vielzahl unterschiedlicher zeitlicher und räumlicher Kontexte zutrifft (siehe Brindley, 1970), bezeichnet von Kries (1905) als Persistenzsatz. Es existieren aber auch Belege dafür, daß der Persistenzsatz bei sehr hellen Adaptationskontexten nicht mehr gilt (siehe hierzu beispielsweise Wright, 1936; Wyszecki, 1978; Alpern, 1979).

Auch vor einem Kontext wahrgenommene Farben lassen sich ebenso wie isoliert dargebotene durch Vektoren repräsentieren. Kontexteffekte führen zu einer systematischen Veränderung der Farbkoordinaten in derselben Richtung, in die sich auch die Koordinaten der Kontexte verändert haben: Dies ist deutlich erkennbar bei Betrachtung der Vektoren in der Normfarbtafel, die die Kontexteffekte repräsentieren (siehe hierzu   Abbildung 1.7 und z.B. MacAdam, 1956; Burnham, Evans & Newhall, 1957; Ware & Cowan, 1982; Irtel, 1991). Die Adaptationseffekte wirken sich somit genauso aus, wie wenn sich die physikalische Reizgrundlage innerhalb eines Kontextes verändert hätte. Formal läßt sich die Farbveränderung aufgrund der Kontexteffekte durch eine Transformation der Farbwerte beschreiben. Grundsätzlich werden in diesem Zusammenhang die in Tabelle 1.1 gezeigten Klassen von Transformationen der Farbwerte diskutiert, die die Grundlage verschiedener Modelle zu den Kontexteffekten bilden. Nach formaler Darstellung der Kontexteffekte sollen einige von ihnen näher beschrieben werden.

 table790
Tabelle 1.1:  

Transformationen durch Adaptationseffekte

Axiomatische Theorie des Kontexteinflusses

 

Krantz (1968) stellt eine allgemeine axiomatische Theorie der Umfeldeinflüsse vor und wendet sie zur Vorhersage des Einflusses zeitlicher Farbadaptation an. Ausgehend von einer Graßmann-Struktur (siehe Abschnitt 1.1.2) für Farben und deren Kontexte gelangt er zu dem Schluß, daß sich Kontexteffekte durch eine affine Transformation der Reizkoordinaten beschreiben lassen. Die Axiomatisierung von Krantz (1968) basiert auf einer kommutativen Halbgruppe tex2html_wrap_inline7538 von Transformationen auf der Menge der Farbreize tex2html_wrap_inline7540, die beispielsweise im Hinzuprojizieren eines zweiten Spektrums bestehen kann. tex2html_wrap_inline7542 bezeichnet dann den Reiz, der sich durch Anwenden der Transformation a auf den Reiz A ergibt; tex2html_wrap_inline7548 sei die Farbe des Reizes A im Kontext T und tex2html_wrap_inline7554 bezeichne die Transformation a im Kontext T. tex2html_wrap_inline7560 bezeichnet schließlich die Äquivalenzklasse, die alle Reize enthält, die im Kontext T gleich aussehen wie Reiz A.

Eine wichtige Eigenschaft einer solchen Menge von Reiztransformationen besteht in der Kontextinvarianz: Die Veränderung einer Farbe durch die Transformation a im Kontext T soll durch die Differenz zwischen zwei Reizen B und C im Kontext S ausgedrückt werden. Bei Vorliegen von Kontextinvarianz läßt sich diese Differenz zwischen B und C im Kontext S durch die Differenz von Transformationen b und c im Kontext S repräsentieren. Eine weitere wichtige Voraussetzung, das Überlappen von Kontexten tex2html_wrap_inline7588, ist dann gegeben, wenn sich genügend Farbabgleiche zwischen ihnen herstellen lassen: Für zwei beliebige Transformationen b und c müssen sich zu einem Reiz A und zu den transformierten Reizen tex2html_wrap_inline7596 und tex2html_wrap_inline7598 im Kontext tex2html_wrap_inline7600 auch in allen anderen überlappenden Kontexten gleich aussehende Farben finden lassen.

Nach Krantz (1968) läßt sich die Halbgruppe tex2html_wrap_inline7538 der Reiztransformationen unter bestimmten Bedingungen, vor allem der Kontextinvarianz, in die Gruppe tex2html_wrap_inline7604 der Differenzen von Reiztransformationen einbetten: Er definiert eine Abbildung tex2html_wrap_inline7606, die die Wirkung des Übergangs vom Kontext S zum überlappenden Kontext T auf die Farbe A beschreibt als Differenz von Transformationen tex2html_wrap_inline7614 im Kontext S, also tex2html_wrap_inline7618.

Der Isomorphismus tex2html_wrap_inline7620 bildet Differenzen von Reiztransformationen im Kontext S ab auf Äquivalenzklassen von Wahrnehmungsdifferenzen im Kontext S. Aus den Abbildungen tex2html_wrap_inline7606 und tex2html_wrap_inline7620 wird eine affine Abbildung tex2html_wrap_inline7630 konstruiert, die die Auswirkung des Kontextes direkt auf die Reize (und nicht auf Reiztransformationen) vorhersagen kann und die aus einer linearen Komponente tex2html_wrap_inline7632 und einer additiven Komponente tex2html_wrap_inline7634 besteht.

Krantz (1968) stößt beim Versuch der empirischen Überprüfung seiner Annahmen auf das Problem, daß meist eine Konfundierung von Zielreizänderungen und Kontextänderungen besteht. Nur bei den Untersuchungen von Alpern (1953), Burnham et al. (1957) und MacAdam (1956), deren Ergebnisse sich auch durch das affine Modell am besten erklären lassen, ist dies nicht der Fall. Würger (1985) kann zwar die Annahme der Kontextinvarianz experimentell bestätigen, findet aber deutliche Verletzungen der Additivität, die dazu führen, daß die Metamerie zweier Reiz-Kontext-Konfigurationen nicht erhalten bleibt, wenn zu beiden Kontexten ein konstantes Spektrum addiert wird. Für die Theorie von Krantz (1968) bedeutet dies, daß die Struktur der Kontextreize nicht zur Konstruktion der affinen Transformation der Reize verwendet werden kann. Irtel (1991) erklärt diesen Befund durch einen nichtlinearen Zusammenhang zwischen den Koeffizienten der affinen Transformationen einzelner Kontextwechsel und den Kontextreizen.

Theorien der Kontexteffekte

Nach der Darstellung der axiomatischen Theorie der Kontexteffekte und dem Versuch ihrer empirischen Validierung sollen nun weitere Theorien unterschiedlicher Komplexität vorgestellt werden, die Kontexteffekte vorhersagen wollen.

Das von Kries-Modell

 

Eine der einfachsten Theorien zur Vorhersage der Effekte von (zeitlicher) Farbadaptation ist ein Modell, das auf von Kries (1905) zurückgeht. Dieses Modell geht davon aus, daß die drei Zapfensysteme unabhängig voneinander adaptieren und reagieren. Der von Kries'sche Koeffizientensatz postuliert als Adaptationseffekt eine Veränderung der absoluten Empfindlichkeiten der drei Zapfenarten von tex2html_wrap_inline7636 zu tex2html_wrap_inline7638:


 eqnarray867

wobei tex2html_wrap_inline7640 und tex2html_wrap_inline7642 die Koeffizienten zur Skalierung der Rezeptorempfindlichkeiten sind. Man bezeichnet sie auch als receptor gain und ihre Wirkung auf die Rezeptorempfindlichkeiten als gain control. Eine Veränderung der Rezeptorempfindlichkeiten nach diesem Modell ist Bestandteil einiger Theorien zur Farbadaptation, es reicht jedoch alleine nicht zur Vorhersage der Kontexteffekte aus. Es muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß die Güte der Vorhersagen in Anbetracht der Einfachheit des Modells - es kommt mit drei Parametern aus - überraschend gut ist (siehe hierzu Fairchild, 1998).

Kontexteffekte auf der Gegenfarben-Ebene

Jameson und Hurvich (1964, 1972) erklären mit einem später ``Zwei-Prozeß-Modell'' genannten affinen Modell die Daten aus verschiedenen Experimenten. Die erste Stufe, die auf der Rezeptorebene stattfindet, wirkt sich linear aus und läßt sich nach dem von Kries'schen Modell beschreiben. Die zweite Stufe, in der die Gegenfarben-Erregungen aus den Rezeptorsignalen gebildet werden, findet auf einer höheren neuronalen Ebene statt und wirkt sich additiv aus.

Walraven (1976, 1979)  stellt ein ähnliches Modell vor, das seinen Befund erklären soll, daß nur die gegenüber dem Kontext inkrementellen Komponenten zur Farbe eines Reizes beitragen, diejenige Anteile, die auch im Hintergrund enthalten sind, sich dagegen nicht auf dessen Farbe auswirken. Shevell (1978, 1982)  zeigt jedoch, daß ein einfaches ``Subtrahieren'' des Hintergrunds nicht ausreicht. Die Wirkung eines (simultan oder auch sukzessiv präsentierten) Adaptationskontextes setzt sich eher aus einem Beitrag des Adaptationsumfeldes zu den Farbsignalen und einer gleichzeitigen Abschwächung der Farbsignale durch Veränderung der spektralen Empfindlichkeiten der drei Rezeptortypen zusammen. Im Gegensatz zu dem Modell von Jameson und Hurvich (1972) wirkt sich der Adaptationskontext hier bereits vor der linearen Veränderung der Empfindlichkeitsfunktionen aus. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Shevell und Humanski (1984). Die Kontexteffekte auf der Ebene der Gegenfarben-Mechanismen lassen sich also durch ein affines Modell beschreiben, wie etwa das von Krantz (1968) axiomatisierte.

Projektive Farbtransformationen

Kiener (1995, 1997) versucht, vom Adaptationskontext hervorgerufene Farbveränderungen durch projektive Farbtransformationen zu beschreiben. Zur empirische Prüfung dieser Annahme werden kontextübergreifende Farbabgleiche erstellt und dann mit den Vorhersagen durch affin-linearen und projektive Abbildungen verglichen. Diese Transformationen genügen zwar nicht zur Vorhersage der Farbeinstellungen der Versuchspersonen, vergleicht man aber dennoch die Vorhersagegüte der projektiven Abbildung mit der, die man unter Anwendung der affin-linearen Abbildung erreicht, so ergibt sich bei beiden Versuchspersonen ein signifikanter Vorteil der projektiven Abbildung.

Aufgrund von Daten zur Entdeckbarkeit von Farben erstellt Drösler (1993) eine Metrik des Farbraums. Diese Metrik soll, wie auch von Yilmaz (1962) gefordert, den Spektralzug invariant lassen, weshalb affin-lineare Modelle nicht in Frage kommen. Die projektive hyperbolische Metrik erfüllt dagegen diese Invarianzforderung, aus der folgt, daß unter Adaptation Farben Farben bleiben und Nicht-Farben Nicht-Farben. Das als Unähnlichkeit von Farben interpretierbare Distanzmaß der Metrik ist das logarithmierte Verhältnis von vier Farben in projektiven Koordinaten. Drösler (1993) formuliert einen Repräsentationssatz für eine entsprechende Farbmetrik, der im wesentlichen auf der Graßmann-Struktur der Farben, einer Relation ``ist mindestens so entdeckbar wie'' und der Forderung nach Invarianz der Begrenzungshülle des Kegels aufbaut. Die Entdeckbarkeit setzt sich dabei additiv verbunden aus der Dauer der Reizpräsentation und der spektralen Breite der Fourier-Transformierten des Reizspektrums zusammen.

Farbwahrnehmung wird von Drösler (1993) dabei als die Auswirkung eines aus drei Komponenten bestehenden Operators im Hilbert-Raum der Reize dargestellt. Die erste Komponente bewirkt eine Filterung des Strahlungsreizes, die beiden anderen wirken als Bandpassfilter der ersten und zweiten Ableitung des Strahlungsreizes nach der Zeit. Diese Operatoren erzeugen eine projektive hyperbolische Metrik über dem Farbraum, die zu einer empirisch wohlbegründeten Erfassung von visuellen Farbunterschieden führt.

Beleuchtungsänderung als Lorentz-Transformation

Yilmaz (1962) bildet den sichtbaren Bereich des Spektrums auf das Intervall tex2html_wrap_inline7644 ab, so daß sich die spektrale Energieverteilung F durch die Farbwinkel tex2html_wrap_inline7026 beschreiben läßt:


eqnarray883

Er geht aus praktischen Erwägungen davon aus, daß bei der Farbwahrnehmung nur die ersten drei Terme verwendet werden, und rechtfertigt diese Dreidimensionalität mit den drei psychologischen Farbattributen Helligkeit, Farbton und Sättigung, die sich durch die Koeffizienten tex2html_wrap_inline7650, tex2html_wrap_inline7652 und tex2html_wrap_inline7654 der Fourier-Reihe charakterisieren lassen. Betrachtet man tex2html_wrap_inline7650, tex2html_wrap_inline7652 und tex2html_wrap_inline7654 als die kartesischen Koordinaten eines Lichtreizes, dann entsprechen die psychologischen Attribute Helligkeit, Farbton und Sättigung genau der Polarkoordinaten-Repräsentation desselben Reizes, wobei der Ursprung des Koordinatensystems O der Abwesenheit von Licht, also Schwarz, entspricht. Die Punkte auf der tex2html_wrap_inline7654-Achse repräsentieren die grauen und weißen Reize und die Sättigung erreicht ihr Maximum tex2html_wrap_inline7666 am Rande des Kegels, der somit den Grenzfall der maximal möglichen Sättigung darstellt.

Eine Beleuchtungsänderung bewirkt nach Yilmaz (1962) eine bestimmte Transformation der Koeffizienten tex2html_wrap_inline7650, tex2html_wrap_inline7652 und tex2html_wrap_inline7654, deren Art durch drei Restriktionen festgelegt wird: Weiß soll Weiß bleiben, das Erscheinungsbild hochgesättigter Reize darf sich nicht ändern und die Helligkeit tex2html_wrap_inline7654 muß immer positiv bleiben. Alle derartigen zulässigen Transformationen liegen innerhalb des Kegels maximaler Sättigung tex2html_wrap_inline7666. Die tex2html_wrap_inline7654-Achse repräsentiert auch die Art der Beleuchtung, so daß die achromatische Achse in der Richtung der Beleuchtung liegt. Die aus der speziellen Relativitätstheorie bekannte Lorentz-Transformation, die diese Anforderungen erfüllt, verändert die Koeffizienten tex2html_wrap_inline7650, tex2html_wrap_inline7652 und tex2html_wrap_inline7654 bei Änderung der Beleuchtung folgendermaßen:


eqnarray891

wobei tex2html_wrap_inline7686 die Sättigung bezeichnet. Die Vorhersagen dieser Theorie sind bisher nicht empirisch überprüft.

Inkremente und Dekremente

Nach Mausfeld und Niedereé (1993) besteht eine grundsätzliche Kontextabhängigkeit von Farben. Sie definieren den minimalen oder einfachsten allgemeinen Reiz, der alle Farbeindrücke produzieren kann, als einen homogenen Reiz konstanter Fläche, der von einem anderen Reiz umgeben ist (infield-surround). Die praktische Bedeutung dieser minimalen Reizkonfigurationen besteht darin, daß sie bereits ausreichen, um eine Wahrnehmung als Objekt oder als Lichtquelle auszulösen.

Dabei besteht nach Mausfeld und Niedereé (1993) ein prinzipieller Unterschied zwischen physikalisch inkrementellen Reizen, bei denen zu einem Umfeld zusätzlich noch ein weiterer Reiz hinzuprojiziert wird, und physikalisch dekrementellen Reizen, bei denen ein Teil des Umfeldes herausgefiltert wird. Da sich Farbwahrnehmung durch drei Graßmann-Codes beschreiben läßt, kann auf jeder dieser drei Dimensionen ein Inkrement bzw. ein Dekrement vorliegen und in dem von diesen drei Codes aufgespannten dreidimensionalen Farbraum sind insbesondere zwei der acht Oktanten wichtig: Im positiven Oktanten (in dem auf allen drei Achsen Inkremente vorliegen) befinden sich die psychophysisch inkrementellen Reize, im negativen Oktanten (in dem auf allen drei Achsen Dekremente vorliegen) liegen die psychophysisch dekrementellen Reize. Mausfeld (1998) bezieht die unterschiedliche Wirkung von Inkrementen und Dekrementen auf die Wahrnehmungskategorien Objektfarbe und Farbe einer Lichtquelle. Außer den psychophysisch inkrementellen und dekrementellen Reizen existieren auch noch solche, die bezüglich einer oder zweier Komponenten psychophysisch inkrementell und bezüglich der anderen Komponenten psychophysisch dekrementell sind und die teilweise als hypersaturiert, brillant oder fluoreszierend wahrgenommen werden.

Ein wichtiger Grundsatz ist hierbei, daß sich nur Farbabgleiche herstellen lassen zwischen psychophysisch inkrementellen (dekrementellen) Reizen und wiederum inkrementellen (dekrementellen) Reizen, weshalb ein psychophysisch inkrementeller Stimulus nie genauso aussehen kann wie ein psychophysisch dekrementeller Reiz, was Mausfeld und Niedereé (1993) auch empirisch demonstrieren (siehe auch Niedereé & Mausfeld, 1997; Chichilnisky & Wandell, 1997). Weitere Hinweise auf die Relevanz der Unterscheidung zwischen Inkrementen und Dekrementen sowohl bei Mondrian-Konfigurationen als auch bei Streifenmustern berichtet Bäuml (1997), der eine höhere Farbkonstanz bei Dekrementen findet als bei Inkrementen. Niedereé (1993) zeigt außerdem, daß sich Innenfeld-Umfeld-Konfigurationen durch kein dreidimensionales Modell ausreichend beschreiben lassen. Dies gilt für lineare und nicht-lineare Modelle sowie für intrinsisch relationale wie auch sonstige relationale Modelle. Daraus zieht er den zwingenden Schluß, daß die Farbcodes mehr als drei Dimensionen besitzen.

Bezüglich der Anwendbarkeit des Oktantenmodells für die vorliegende Untersuchung muß beachtet werden, daß im hier beschriebenen Experiment monochromatische Reize vor einem polychromatischen Umfeld präsentiert werden. Keiner dieser Reize liegt im positiven oder negativen Oktanten des DKL-Raums, da die Spektren der Zielreize und des vom Monitor erzeugten Umfeldes keine physikalischen Inkremente bzw. Dekremente darstellen. Weder Mausfeld und Niedereé (1993) noch Mausfeld (1996, 1998) sagen konkret vorher, wie sich Kontexteffekte in den verbleibenden sechs Oktanten auswirken.

Einflußfaktoren auf Kontexteffekte

Nach den Darstellungen verschiedener Erklärungsversuche zu Kontexteffekten sollen nun verschiedene Faktoren besprochen werden, die sich auf die Stärke der Adaptationseffekte auswirken. Graham und Brown (1965) nennen dazu folgende Zusammenhänge (siehe auch Hurvich, 1981): Je weniger sich die Helligkeit von Innenfeld und Umfeld unterscheidet, desto ausgeprägter sind die Kontexteffekte und bei ähnlicher Helligkeit nimmt der Effekt mit der Sättigung des Umfeldes zu. Je kleiner das Innenfeld im Verhältnis zum Umfeld ist, desto stärkere Adaptationseffekte ergeben sich. Graham und Brown (1965) berichten außerdem, daß ein farbiger Kontext bei einem neutralen Innenfeld normalerweise seine Gegenfarbe induziert, ein wesentlich helleres Umfeld aber dessen eigene Farbe. Ein maximaler Kontexteffekt tritt an der Grenze zwischen den beiden Feldern auf. Hurvich (1981) weist darauf hin, daß die Kontrastüberhöhung an der Grenze zwischen Innenfeld und Umfeld besonders ausgeprägt ist, wenn der Übergang zwischen den beiden Feldern nicht abrupt sondern kontinuierlich ist.

Das Auftreten von Adaptationseffekten ist Kaiser und Boynton (1996) zufolge relativ unabhängig von der Ausdehnung des Adaptationsumfeldes, solange dieses größer als 6tex2html_wrap_inline7296 Sehwinkel ist. Diese Autoren geben auch an, daß ein wirksames Adaptationsumfeld mindestens die 30-fache Intensität eines eben wahrnehmbaren Reizes besitzen muß. Hunt und Winter (1975) stellen fest, daß die Adaptation an einen farbigen Kontext besser gelingt, wenn dessen Leuchtdichte 75 tex2html_wrap_inline7258 anstelle von 35 tex2html_wrap_inline7258 beträgt. Bei der experimentellen Untersuchung von kontextübergreifenden Farbabgleichen zeigt sich auch ein deutlicher Einfluß der Adaptationsdauer und der Instruktion der Versuchspersonen auf die Stärke des Kontexteffekts. Diese beiden Faktoren sollen nun näher dargestellt werden.

Zeitverlauf der Adaptation

Da Adaptation immer ein Prozess ist, der eine gewisse Zeit beansprucht, hängt die Stärke von Adaptationseffekten wesentlich davon ab, wie lange der Adaptationskontext wirkt. Hunt (1950) findet einen zeitlichen Verlauf der Adaptation, wie er sich durch eine negativ beschleunigte Exponentialfunktion beschreiben läßt. Die deutlichsten Effekte treten während der ersten 25 Sekunden auf, nach einer Minute ist die Adaptation zu 80 bis 90% abgeschlossen und nach etwa fünf Minuten vollständig. Hunt (1950) interpretiert diesen Befund mit photo-chemischen Prozessen in den Rezeptoren.

 

Fairchild und Reniff (1995) untersuchen ebenfalls den zeitlichen Verlauf der Adaptation an verschiedene Kontexte, deren Helligkeit etwa derjenigen der Innenfelder entspricht. Zur Minimierung der Streuung in den Einstellungen können die Versuchspersonen ihre Einstellungen dabei nur auf einer Dimension variieren.gif In den Experimenten ergibt sich, daß die Adaptation nach circa 5 Sekunden bereits die Hälfte des endgültigen Niveaus erreicht hat und nach etwa 30 bis 40 Sekunden schon 75%; nach 60 Sekunden ist die Adaptation durchschnittlich zu 90% abgeschlossen und nach zwei Minuten vollständig. Es ergeben sich systematische Abweichungen des tatsächlichen Zeitverlaufs der Adaptation von dem durch eine Exponentialverteilung vorhergesagten, die Autoren finden aber eine gute Übereinstimmung zu einer Verteilung, die sich aus einem zweistufigen Mechanismus ergibt: Zu Beginn findet eine sehr schnelle Veränderung der Adaptation statt, dann folgt eine langsamere Phase.

Instruktionseffekte

 

In diesem Abschnitt soll gezeigt werden, daß auch die Instruktion der Versuchspersonen einen großen Einfluß auf deren Verhalten bei kontextübergreifenden Farbabgleichen hat: Die Aufforderung, einen Reiz mit gleicher Sättigung und gleichem Farbton herzustellen (hue match), führt zu dem Versuch, das farbliche Aussehen (color appearance) des Standardreizes möglichst exakt zu reproduzieren. Andererseits können die Versuchspersonen die Farbe des Testfeldes aber auch als Oberflächenfarbe eines unterschiedlich beleuchteten Objekts interpretieren und deshalb versuchen, durch Kompensation der Beleuchtungsänderung Konstanz der Objektfarbe zu erzielen. Dazu werden sie typischerweise instruiert, die Farbe des Zielreizes so einzustellen, daß der Eindruck entsteht, Standard- und Testreiz seien aus demselben Papier ausgeschnitten (paper match). Für den Vergleich des farblichen Aussehens müssen nur der Standard- und der Testreiz miteinander verglichen werden, bei Interpretation als Objektfarbe muß dagegen auch das Umfeld mit berücksichtigt werden. Zur experimentellen Untersuchung von Instruktionseffekten werden üblicherweise auf einem Bildschirm farbige Reizkonfigurationen unter unterschiedlicher, dem Tageslicht ähnlicher, Beleuchtung simuliert.

Arend und Reeves (1986) finden bei simultaner Präsentation von Standard- und Testreiz eine höhere Farbkonstanz, wenn die Versuchspersonen aufgefordert werden, sich die Reize jeweils als ein farbiges Papier vorzustellen. Diese Befunde ergeben sich bei unterschiedlichen absoluten Leuchtdichten der Reizkonfiguration, bei einfachem ringförmigen und bei komplexem Mondrian-Kontext, sowie bei verschiedenen Helligkeitsunterschieden innerhalb der Reizkonfiguration. Sollen dagegen Farbton und Sättigung reproduziert werden, tritt keine Farbkonstanz auf. Außerdem wird berichtet, daß den Versuchspersonen der Farbabgleich von Objektfarben wesentlich schwerer fällt und längere Zeit beansprucht. Arend, Reeves, Schirillo und Goldstein (1991) können das Ergebnis dieser Untersuchung replizieren, wobei sie wesentlich mehr Standardreize für sehr kurze Zeiten (Präsentationsdauer unter einer Sekunde) darbieten, um Adaptationseffekte auf der Rezeptorebene zu vermeiden. Troost und deWeert (1991) gelangen bei simultaner Darbietung der abzugleichenden Reize zum selben Ergebnis. Werden die beiden Reize aber nacheinander präsentiert, tritt eine Überkompensation der Beleuchtungsänderung auf. Die Autoren erklären dies durch Gedächtniseffekte: Aufgrund der Gedächtnismethode werde die Beleuchtung prototypischer und gesättigter erinnert als sie es tatsächlich gewesen sei.

Cornelissen und Brenner (1995) versuchen schließlich herauszufinden, warum sich das farbliche Aussehen und die Objektfarbe so stark unterscheiden. Dazu setzen sie wieder die beiden oben genannten unterschiedlichen Instruktionen ein und erheben nicht nur die Farbeinstellungen der Versuchspersonen, sondern auch deren Blickbewegungen beim Herstellen der Farbabgleiche. Neben einer tendenziell höheren Farbkonstanz für Objektfarben finden sie, daß alle Versuchspersonen beim Vergleich von Oberflächenfarben anteilsmäßig länger auf den Kontext blicken als bei einem Vergleich des farblichen Eindrucks. Durch die Instruktion, sich den Zielreiz als ein farbiges Stück Papier vorzustellen, wird also dieser Zielreiz zu seinem Umfeld in Relation gesetzt, während unter der Instruktion, Farbton und Sättigung möglichst genau zu reproduzieren, fast ausschließlich der Zielreiz betrachtet wird.

Die Größe von Kontexteffekten nimmt somit zu, wenn der Zielreiz als Objektfarbe interpretiert wird, und auch dann, wenn das Adaptationsumfeld längere Zeit wirken kann. Ob sich diese Faktoren auch in dem hier besprochenen Experiment auswirken, wird in Kapitel 4 diskutiert.


next up previous contents
Next: Gedächtniseffekte Up: Farbwahrnehmung und Kontexteffekte Previous: Erklärungsansätze

rainer@zwisler.de

Last modified 10-29-98