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Fragestellung

In Abschnitt 1.3 sind verschiedene Theorien zur Auswirkung von Kontexten auf Farbreize besprochen, die alle davon ausgehen, daß Kontexteinflüsse zu einer Veränderung von Farben führen können. Die hier referierten Theorien sind so weit expliziert, daß sie quantitative Vorhersagen darüber erlauben, wie sich die Farbkoordinaten eines Reizes bei einem Kontextwechsel verändern werden. Dabei erweist es sich als hilfreich, den Einfluß eines Kontextes durch eine Transformation der Farbkoordinaten zu beschreiben (siehe Abschnitt 1.3.2 bzw. Krantz, 1968), die von unterschiedlicher Art sein kann. Die meisten Theorien postulierten lineare, affine oder projektive Zusammenhänge, wie sie in Tabelle 1.1 allgemein dargestellt sind: Das einfache lineare Modell nach von Kries (1905), das auf einer Anpassung der Rezeptorempfindlichkeiten beruht, läßt sich durch eine tex2html_wrap_inline7694-Diagonalmatrix beschreiben. Die aus der Axiomatisierung der Kontexteffekte von Krantz (1968) und aus der Gegenfarben-Theorie hergeleiteten affinen Modelle können durch eine tex2html_wrap_inline7696-Transformationsmatrix zusammengefaßt werden, die neben der Skalierung der Farbkanäle auch eine Berücksichtigung der Unterschiede zwischen Reiz und Kontext ermöglicht. Die Vorhersagen durch die projektiven Modelle, bei denen zusätzlich zu den affinen Veränderungen noch eine Normierung stattfinden kann, lassen sich mit einer tex2html_wrap_inline7698-Matrix bestimmen.

Von den drei genannten Arten der Farbtransformation lassen nur die projektiven den Mantel des Farbkegels invariant, bei den beiden anderen wird zumindest ein Teil des Mantels in einen Bereich außerhalb des Farbkegels abgebildet. Die am Rand liegenden Punkte repräsentieren maximal gesättigte Farben, die sich nur durch monochromatische Reize erzeugen lassen. Wenn sich Kontexteffekte linear oder affin auswirken, dann sollte zumindest ein Teil dieser Punkte am Mantel des Farbkegels nach einer Kontextänderung außerhalb dessen liegen. Dies sollte sich praktisch bei manchen Farben darin äußern, daß im veränderten Kontext keine Farbe existiert, die genauso wie eine maximal gesättigte im Ausgangskontext aussieht.

Experimentell läßt sich dies durch Präsentation eines monochromatischen Reizes vor einem Ausgangskontext untersuchen, zu dem in einem andersfarbigen Zielkontext ein kontextübergreifender Farbabgleich produziert werden soll. Der Zielkontext darf dabei nicht beliebig gewählt werden, sondern muß etwa in Richtung des Standardreizes liegen, da sich die Kontexteffekte in Richtung des Kontextunterschieds auswirken (siehe Seite gif). Bei entsprechender Wahl der Reize wäre bei linearen oder affinen Kontexteffekten zu erwarten, daß die transformierte Farbe außerhalb des Farbkegels liegt. Dies sollte sich darin äußern, daß im Zielkontext keine Farbe eingestellt werden kann, die gleich aussieht wie der Standardreiz im Ausgangskontext. Für einen Abgleich wäre nämlich eine Farbe erforderlich, deren Sättigung höher sein müßte als die eines monochromatischen Reizes im Ausgangskontext, also eine hypersaturierte Farbe.

Läßt sich aber doch im Zielkontext eine gleich aussehende Farbe finden, dann kann der Kontexteffekt nicht linear oder affin sein. Zur Verdeutlichung ist in Abbildung 1.7 eine affine Transformationen der im hierzu durchgeführten Experiment eingesetzten Reize zu sehen, deren Parameter den von Burnham et al. (1957) geschätzten entsprechen. Durch diese Transformation werden am Mantels des Farbkegels liegende Farben in einen Bereich außerhalb dieses Kegels verschoben. Projektive Transformationen erlauben es dagegen, die maximal gesättigten Farben wieder auf solche abzubilden.

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Abbildung 1.7:  

Affine Farbtransformation bei Kontextwechsel: In dieser Abbildung sind in der Normfarbtafel die beiden Standardlichtarten A und C eingetragen. Außerdem ist für jeden der zehn in der vorliegenden Untersuchung eingesetzten Reize ein Pfeil eingezeichnet, der die Veränderung der Farbwerte repräsentiert, die von einer affinen Transformation beim Wechsel von Beleuchtung C zu Beleuchtung A vorhergesagt wird. Die Parameter dieser Transformation werden von Burnham et al. (1957) aus entsprechenden Farbabgleichen geschätzt.

Wenn sich also keine kontextübergreifenden Farbabgleiche zu monochromatischen Standardreizen im Ausgangskontext herstellen lassen, können auch affin-lineare Transformationen zur Beschreibung von Kontexteffekten herangezogen werden und außerdem könnte dies als Hinweis auf die Existenz hypersaturierter Farben gewertet werden. Allerdings ist schwierig zu erkennen, wann eine Versuchsperson keinen Farbabgleich finden kann. Zur Identifikation des Falls, daß keine Abgleiche gefunden werden können, lassen sich neben diesbezüglichen Kommentaren einer Versuchsperson verschiedene Merkmale ihres Verhaltens heranziehen: Die Versuchspersonen sollten ihre Einstellungen zu solchen monochromatischen Reizen im Zielkontext schlechter beurteilen als diejenigen Einstellungen, bei denen auf jeden Fall ein eine gleich aussehende Farbe gefunden werden kann, da ja im ersten Fall sicher keine empfundene Gleichheit hergestellt werden kann. Die für einen Farbabgleich benötigte Bearbeitungszeit sollte überdurchschnittlich hoch sein, wenn eine Versuchsperson nach einem nicht realisierbaren Reiz sucht, außerdem sollten in diesem Fall auch überdurchschnittlich viele Aktionen erforderlich sein. Schließlich ist auch eine besonders hohe Streuung der Einstellungen zu solchen Standardreizen zu erwarten

Um erkennen zu können, ob im Zielkontext immer eine gleich aussehende Farbe hergestellt werden kann, müssen deshalb die Einstellungen zu monochromatischen Standardreizen mit denen zu anderen Reizen verglichen werden. Werden den Versuchspersonen nicht nur monochromatische Standardreize vorgegeben, dann können aus den Farbwerten ihrer kontextübergreifenden Abgleiche auch die Parameter der Transformationsmatrizen des linearen, affinen und projektiven Modells geschätzt werden. Mit entsprechenden Modelltests kann man die dadurch erzielbare Vorhersagegüte vergleichen.

Die Ergebnisse dieses Experiments geben dann Aufschluß über die Art der Transformationen, die durch Kontexteffekte bewirkt werden. Ich gehe von der Hypothese aus, daß diese Kontexteffekte nicht durch lineare oder affine Transformationen beschreibbar sind. Wenn dies der Fall ist, dann sollten auch zu den monochromatischen Reizen im veränderten Kontext immer Abgleiche herstellbar sein, außerdem sollte eine aus den Daten geschätzte projektive Abbildung diese besser vorhersagen als eine lineare oder affine.

Zur Untersuchung dieser Fragestellung ist eine Apparatur nötig, die die Herstellung von monochromatischen Reizen ermöglicht, die dann von Versuchspersonen verändert werden können. Wegen des hohen finanziellen und technischen Aufwandes kann dazu keines der üblicherweise hierfür eingesetzten Maxwellian-View-Systeme verwendet werden. Deshalb wird eine wesentlich einfachere, neuartige Apparatur erprobt, mit der sich auch monochromatische Reize produzieren lassen, die in ihren Farbattributen variiert werden können. Im nächsten Abschnitt wird diese Apparatur genauer beschrieben.


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Last modified 10-29-98