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Psychophysik der Haptik

Die Psychophysik beschäftigt sich mit der Entdeckbarkeit, der Unterscheidbarkeit, der Kategorisierung und der Skalierung von Reizen. Die verschiedenen Kanäle der haptischen Empfindungen lassen sich durch psychophysische Methoden genauer spezifizieren. Dazu werden Absolutschwellen sowie ebenmerkliche Unterschiede bestimmt. Die dadurch gewonnenen Kenntnisse können bei der Konstruktion von haptischen Displays eingesetzt werden. Folgende klassischen Methoden können zur Bestimmung der Schwellen eingesetzt werden:

Methode der konstanten Reize: Ein Reiz (bzw. ein Reizpaar) wird mehrmals dargeboten und die Versuchsperson soll angeben, ob sie den Reiz (bzw. einen Unterschied) erkennen kann. Diejenige Reizintensität, bei der in 50% der Fälle ein Unterschied wahrgenommen wird, wird als Absolutschwelle definiert. Denjenigen Reizunterschied, der in 75% der Fälle wahrgenommen wird, bezeichnet man als Unterschiedsschwelle.

Methode der Grenzen: Hier soll die Versuchsperson angeben, ob sie einen Reiz wahrnimmt. Wenn ja, wird dessen Intensität verringert, wenn nein, wird die Intensität erhöht. Der Umkehrpunkt wird dann als Wahrnehmungsschwelle interpretiert

Beim Herstellungsverfahren variiert die Versuchsperson selbst die Intensität des Reizes. Die Absolutschwelle bestimmt sich aus dem Mittelwert der als gerade eben wahrnehmbar eingestellten Reize, die Differenzschwelle kann aus der Streuung der Abgleiche zu einem vorgegebenen Standardreiz ermittelt werden.

Eine modernere Methode wäre die Signalentdeckungstheorie, die von einem normalverteiltem Rauschen ausgeht, das vom Signal unterschieden werden soll, das das Rauschen additiv überlagert und ebenfalls normalverteilt ist (mit gleicher Varianz). Diese Theorie berücksichtigt auch die Kosten/Gewinne, die durch richtige bzw. falsche Klassifikationen entstehen.

Außerdem interessiert man sich für den Zusammenhang zwischen der Reizintensität und der Empfindungsintensität, der im allgemeinen exponentieller Art ist (Stevens power law): Beispielsweise nimmt die wahrgenommene Rauhigkeit einer Oberfläche als Exponentialfunktion mit einem Exponenten zwischen 1.0 und 1.6 mit dem Abstand der einzelnen herausragenden Elemente zu.

Das räumliche Auflösungsvermögen unterliegt relativ großen Schwankungen in Abhängigkeit von der untersuchten Körperregion. Die höchste Auflösung liegt im Bereich der Fingerspitzen vor. Die Unterschiedsschwelle für zwei Punkte ist kleiner, wenn die Reize nacheinander dargeboten werden, als wenn sie gleichzeitig appliziert werden. Auch bei dieser Schwelle handelt es sich nicht um einen statischen Wert: Das räumliche Auflösungsvermögen kann durch Training verbessert und durch Ermüdung verschlechtert werden (cf. Kaczmarek & Bach-y-Rita, 1995). Außerdem können Verschiebungen von Berührungen wahrgenommen werden, die zehnmal kleiner sind als die gerade genannte Unterschiedsschwelle. Maximales räumliches Auflösungsvermögen ist mit einer hohen kognitiven Belastung verbunden. In diesem Zusammenhang ist auch das Phänomen des funnelling interessant: Mehrere räumlich getrennte taktile Reize werden als ein einziger Reiz empfunden.

Bei der Wahrnehmung von elektrotaktilen und vibrotaktilen Reizen lassen sich erstaunlich wenige ebenmerkliche Unterschiede feststellen (je nach Körperregion zwischen 10 und 60, am häufigsten etwa 20). Die Dynamik haptischer Wahrnehmungen ist mit 6 bis 20 dB relativ niedrig. Die Wahrnehmung vibrotaktiler Reize hängt von vielen Faktoren ab: Ort der Reizdarbietung, Größe des Taktors, Abstand zwischen Taktor und unbeweglichem Umfeld, Amplitude und Frequenz der Vibration. Die höchste Empfindlichkeit liegt in den Fingerspitzen vor, wobei höhere Frequenzen (über 40 Hz) und insbesondere Sinusschwingungen leichter wahrgenommen werden können.

Es lassen sich auch durch elektrotaktile Displays unterschiedliche haptische Empfindungen hervorrufen. Externe Stimulierung der meisten afferenten Nervenfasern in der Haut führt zu Berührungsempfindungen, deren Art von der jeweiligen Schwingungsform abhängt (weniger von der Spannung), wobei der Mittelwert der Stromstärke nahe bei Null Ampere liegen sollte. Zur Stimulierung der Nerven werden Elektroden eingesetzt, die über eine spezielle leitfähige Elektrolyt-Paste mit der Haut verbunden werden, oder die direkt in die Haut gestochen werden. Je nach Spannung, Stromstärke, Schwingungsform, Material, Größe und Kraft der Elektrode und Ort, Dicke und Feuchtigkeit der Haut werden ganz unterschiedliche Empfindungen ausgelöst (cf. Kaczmarek & Bach-y-Rita, 1995): Kitzeln, Jucken, Vibrieren, Berührung, Druck, Kneifen, spitzer oder brennender Schmerz. Es läßt sich nur eine relativ eingeschränkte Dynamik zwischen 6 und 20 dB realisieren. Die Geschwindigkeit der Adaptation an elektrotaktile Reize hängt von deren Frequenz ab (bei 10 Hz nur sehr geringe Adaptation, bei 1000 Hz dagegen sehr schnelle). Die subjektive Intensität einer elektrotaktilen Reizung hängt mit der Stromstärke, der Phasenweite und der Frequenz zusammen.

Schmerzhafte elektrotaktile Reizungen können auch zu leichten Verbrennungen führen. Außerdem muß darauf geachtet werden, daß der Herzmuskel nicht gestört wird. Längeres Benutzen (zwei Wochen lang zehn Stunden pro Tag) eines elektrotaktilen Displays kann auch zu Hautirritationen führen, deren Ausprägung von der verwendeten Wellenform abhängt (siehe Kaczmarek Bach-y-Rita, 1995).




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Last modified 10-29-98