Verschiedene Befunde, unter anderem die unten dargestellten von Jameson und Hurvich (1964) oder Shevell (1978, 1982), liefern Belege dafür, daß nicht alleine die von den drei Rezeptorarten produzierten Erregungsmuster den Farbeindruck bestimmen, sondern daß auf höherer neuronaler Ebene eine Weiterverarbeitung der Rezeptorsignale stattfindet. Verschiedene Methoden zur Bestimmung dieser Mechanismen werden beispielsweise von Pokorny und Smith (1986) vorgestellt. Allen diesen Modellen gemeinsam ist, daß sie von antagonistischen Farbmechanismen ausgehen; man bezeichnet sie deshalb auch als Gegenfarben-Theorien. Hering (1920) postuliert ein derartiges Modell ausgehend von der Beobachtung, daß ``Röte und Grüne, bezw. [sic] Gilbe und Bläue in keiner Farbe gleichzeitig deutlich sind, sich vielmehr gegenseitig auszuschließen scheinen'' (Hering, 1920, S.48). Danach bilden drei antagonistische Prozesse die Grundlage des Farbensehens: Ein Rot-Grün-Prozeß, ein Gelb-Blau-Prozeß und ein Weiß-Schwarz-Prozeß, wobei keine Farbe gleichzeitig beide Farbtöne des jeweiligen Antagonisten-Paares annehmen kann.
Jameson und Hurvich (1955) quantifizieren diese Vorstellung durch Einsatz der Farbaufhebungsmethode: Aufgabe der Versuchsperson ist es, bei einer Mischung zweier Farbreize die Anteile der beiden Komponenten so einzustellen, daß die resultierende Farbe weder rötlich noch grünlich (bzw. weder bläulich noch gelblich) erscheint. Der Rotanteil an einer Farbe läßt sich somit dadurch operationalisieren, wieviel Grün hinzugemischt werden muß, um eine weder rötliche noch grünliche Mischung zu erhalten. Die Erregung des Rot-Grün-Mechanismus durch eine Spektralfarbe der Wellenlänge hängt dann von der Differenz zwischen der Intensität des roten Anteils und der Intensität des blauen Anteils ab. In Abbildung 1 sind derartige Daten aus einer Veröffentlichung von Werner und Wooten (1979) dargestellt.
Abbildung 1:
Gegenfarbenkoeffizienten für monochromatische Komponenten des energiegleichen Spektrums: Hier sind die über die Daten von drei Experimenten gemittelten Ergebnisse aus Tabelle 1 von Walter und Wooten (1979, S. 372) für das Rot-Grün-System und das Gelb-Blau-System dargestellt.
Diese Reaktionskurven der Gegenfarb-Systeme lassen sich auch als Linearkombination der CIE-1931-Farbwertkurven ausdrücken (cf. Hurvich & Jameson, 1955, S.602):
Die Reaktion des -Systems ergibt sich aus der Erregung antagonistischer Gelb- und Blau-Prozesse, diese wiederum ``are initiated by the photochemical absorption of light in two substances of different spectral properties, a `Y' substance and a `B' substance'' (Hurvich & Jameson, 1955, S.602); ähnliches gilt für das Rot-Grün-System. Daraus lassen sich nach der ursprünglichen Formulierung der Gegenfarb-Theorie durch Hurvich und Jameson (1955) die spektralen Empfindlichkeiten der vier Substanzen B, G, Y, R berechnen:
Aus diesen vier neuronalen Mechanismen, deren spektrale Empfindlichkeiten wie gerade gezeigt definiert sind, berechnen Hurvich und Jameson (1955) schließlich die folgenden spektralen Reaktionsfunktionen der drei Farbdifferenz-Systeme:
Die Funktion bezeichnet die Reaktion des dritten antagonistischen Systems, das achromatisch ist. Hierfür wird von Jameson & Hurvich (1956) auch eine Rechenvorschrift angegeben, die einen Adaptationskontext mit den Rezeptorerregungen sowie einen Neutral-Reiz mit den Rezeptorerregungen berücksichtigt:
Diese Gleichungen lassen sich durch Einsetzen der obigen Gleichungen ebenfalls wieder in Begriffen der CIE-1931-Farbwertkurven formulieren. Die Koeffizienten hängen vom Leuchtdichteniveau der Reize ab.
Von Krantz (1975b) wurde die Gegenfarben-Theorie axiomatisiert, indem die bekannte Graßmann-Struktur um die Teilmengen (Rot-Grün-Äquilibria) und (Gelb-Blau-Äquilibria), zu einer Gegenfarben-Struktur erweitert wird. Sind neben den für die Graßmann-Struktur notwendigen Axiomen noch die folgenden drei Axiome (die die Linearität der Gegenfarben-Attribute sicherstellen) empirisch erfüllt
... dann läßt sich der folgende Repräsentationssatz (Theorem 6 in Krantz, 1975b) aufstellen:
Dies bedeutet, daß die Funktionen und eindeutig sind bis auf Maßstabsänderungen und Vorzeichenwechsel.
Krantz (1975b) zeigt außerdem, daß auch dann ein linearer Farbcode auf der Graßmann-Struktur konstruiert werden kann, wenn das Axiom 2 (Abgeschlossenheit bezüglich und , mithin Linearität) nur von einer einzigen Äquilibriums-Menge erfüllt wird. Dies ist aus empirischen Gründen von großer Bedeutung: Larimer, Krantz und Cicerone (1974) können zwar für die Rot-Grün-Koeffizienten Linearität bestätigen; für die Gelb-Blau-Koeffizienten finden Larimer, Krantz und Cicerone (1975) jedoch Verletzungen der Linearität.
Wyszecki und Stiles (1982) stellen eine neuronale Theorie vor, die auf Müller (1930) und Judd (1949) zurückgeht; dabei spielt sich die Entstehung eines Farbeindrucks auf drei Ebenen ab:
Alternativ dazu lassen sich diese drei Funktionen auch im Rahmen der CIE-1931-Farbwertkurven darstellen:
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