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Rezeptorkurven-Theorien

Diese Klasse von Theorien geht davon aus, daß auf der Retina verschiedene Rezeptortypen existieren, die sich im Spektrum der von ihnen absorbierten Strahlung unterscheiden. Der Absorption des Lichts liegt das Prinzip der Univarianz zufrunde, das auf Rushton (1972) zurückgeht: Es besagt, daß zwei beliebige Lichtreize, die vom Sehfarbstoff Rhodopsin gleich absorbiert werden, auch zu einer gleichen Reaktion der Zapfen führen. Die spektrale Empfindlichkeit eines einzelnen Zapfentyps beschreibt zwar die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Photon absorbiert wird, als Funktion der Wellenlänge; dieses Empfindlichkeitsfunktionen unterscheiden sich zwischen den Rezeptortypen. Wenn ein Photon aber erst einmal absorbiert wurde, geht die Wellenlängeninformation verloren. Die aus der Absorption resultierende Zapfenerregung hängt also nur von der Anzahl absorbierter Photonen ab, nicht von deren Wellenlänge.

Aus dem Prinzip der Univarianz folgt, daß die spektrale Hellempfindlichkeitskurve der Zapfentypen proportional zu deren Absorptionsspektrum sein muß. Die Farbwertkurven die spektrale Empfindlichkeit für die L-, M- und S-Rezeptoren der fovea centralis, die das Farbensehen ermöglichen. Die spektrale Empfindlichkeit der für das Nachtsehen wichtigen Stäbchen, die in der Netzhauptperipherie angesiedelt sind, ist als tex2html_wrap_inline2492 bekannt. Wie beispielsweise von Wyszecki und Stiles (1982, S. 587) gezeigt wird, besteht auch tatsächlich ein linearer Zusammenhang zwischen den empirischen Farbwertkurven und den relativen spektralen Absorptionsfunktionen der drei Farbrezeptor-Arten. Physiologische und psychologische Daten belegen somit das Prinzip der Univarianz.

Wie bereits erwähnt, sind verschiedene Darstellungen der auf unterschiedlichen Primärfarben basierenden Farbwertkurven vom theoretischen Standpunkt äquivalent, da sie durch Lineartransformationen ineinander überführt werden können. Dennoch ist eine bestimmte Variante der Farbwertkurven besonders anschaulich: Eine Menge von drei spektralen Empfindlichkeitsfunktionen entspricht genau den Absorptionsspektren der drei Rezeptorsystem. Man nennt sie fundamentale spektrale Empfindlichkeiten oder auch König-Fundamentals nach A. König, der diese Kurven durch Experimente an Farbfehlsichtigen erhob. Smith und Pokorny (1996) oder Wyszecki und Stiles (1982, S. 605 f.) beschreiben, wie man diese fundamentalen Empfindlichkeitskurven berechnen kann, wenn man die Frabwertkurven von normalsichtigen Trichromatenkennt sowie die Koordinaten der Verwechslungspunkte der drei Arten von Dichromaten im selben Koordinatensystem.

Es zeigt sich, daß die so erhaltenen König-Fundamentals gut sowohl mit den spektralen Empfindlichkeiten der tex2html_wrap_inline2494-Mechanismengif von Stiles (1959) übereinstimmen als auch mit den Absorptionsspektren der verschiedenen Pigmente der Zapfentypen. Die Übereinstimmung ist insbesondere für die beiden mittel- und langwelligen Mechanismen sehr gut. Für den kurzwelligen S-Mechanismus findet man dagegen abweichende Daten beim Absorptionsverhalten der Sehpigmente (nicht jedoch bei den tex2html_wrap_inline2494-Mechanismen). Wyszecki und Stiles (1982, S. 633) vermuten als Ursache, daß das ``blaue'' Pigment bereits bei relativ geringen Leuchtdichten nur mehr in relativ geringer Konzentration vorliegt.

Das Besondere an dieser Übereinstimmung ist, daß die Daten auf völlig verschiedene Weise erhoben wurden: Die König-Fundamentals basieren auf Farbwertkurven und Verwechslungslinien, also letztlich auf Farbabgleichen; die Empfindlichkeiten der tex2html_wrap_inline2494-Mechanismen wurden aus Schwellen für wahrnehmbare Inkremente abgeleitet und die Absorptionskurven der Sehpigmente wurden schließlich anhand physiologischer Messungen bestimmt. Diese drei völlig verschiedenen Herangehensweisen belegen alle, daß drei Mechanismen mit einer bestimmten Charakteristik die Grundlage des Farbensehens bilden.

Von Rushton (1972) wird ein Modell der Farbwahrnehmung vorgeschlagen, das auf den Reaktionen der Rezeptortypen basiert. Dieses Modell erklärt Farbadaptation damit, daß die Pigmente der Rezeptoren bleichen, d.h. in einen anderen chemischen Zustand zerfallen. Dabei spielen drei Annahmen eine Rolle:

  1. Bleichung der Rezeptoren proportional zur Anzahl absorbierter Photonen,
  2. Wiederherstellung gebleichter Moleküle proportional zum Anteil des gebleichten Pigments und
  3. Unabhängigkeit der beiden gerade genannten Prozesse.

Es liegt also ein chemisches Gleichgewicht zwischen der gebleichten und der ungebleichten Form des Sehpigments vor, das mit zunehmender Absorption von Photonen in Richtung gebleichter Pigmente verschoben wird. Dadurch wird eine verstärkte Neigung zum Wiederherstellen der gebleichten Moleküle ausgelöst.


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Last modified 11-5-98