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Nach: Bryson, S.: Virtual environments in scientific visualization.
Erickson (1993) stellt fest, daß in unserer Gesellschaft immer größere Datenmengen anfallen, die durch geeignete Visualisierung besser verwendbar werden. Dabei werden bevorzugt
- selektive Hervorhebung zur Verdeutlichung vorher unsichtbarer Aspekte der Daten,
- Transformationen numerischer Werte in visuelle Merkmale und
- Kontextualisierung, also die Darstellung der Daten innerhalb eines visuellen Kontextes (z.B. einer Weltkarte),
eingesetzt. Diese Techniken sind nicht auf die visuelle Darstellung beschränkt, sondern können auch auf andere Modalitäten übertragen werden. Erickson (1993) spricht deshalb in diesem Zusammenhang von perceptualization. Hierfür ist der Einsatz virtueller Realitäten besonders geeignet, da dort eine direkte Manipulation der Daten möglich wird (und deshalb das Interface unsichtbar wird), und weil prinzipiell mehrere Benutzer gleichzeitig die Daten manipulieren können.
Fairchild (1993) zerlegt das Problem, mit großen Mengen an Information umzugehen, in folgende drei Teilprobleme (und beschreibt auch Prototypen, die entsprechend implementiert sind):
- Bedeutsame Visualisierung einzelner Objekte durch Darstellung semantischer Information mit Hilfe von Multimedia-Techniken. Dabei sollte ein dynamischer Wechsel zwischen verschiedenen Teilmengen der Information möglich sein.
- Bedeutsame Visualisierung von Mengen von Objekten: Hier lassen sich entweder degrees of interest oder fisheye-views einsetzten, um die jeweils interessierende Menge an Informationen in den Vordergrund zu stellen. Durch die Einbettung der Objekte in eine dreidimensionale Darstellung (am Bildschirm) wird die wahrgenommene Komplexität gegenüber einer zweidimensionalen Darstellung reduziert, eine weitere Reduktion kann durch eine echte räumliche Darstellung (beispielsweise durch ein head mounted display) ermöglicht werden.
- Kontrolle der Auswahl der Visualisierung durch den Benutzer: Die Benutzer müssen in der Lage sein, bei der Auswahl und Visualisierung der Teilmengen ihre eigenen Vorstellungen einbringen zu können, und sie müssen selbst bestimmen können, welche Mengen an Objekten detaillierter dargestellt werden sollen. Für VR-Applikationen bieten sich als Steuerungsmechanismus Sequenzen von Gesten an.
Eine Teilmenge der Applikationen zur Datenvisualisierung kann nach Wann und Mon-Williams (1996) von einer dreidimensionalen Darstellung - insbesondere in Form einer virtuellen Umgebung -profitieren. Folgende Situationen sind hierfür besonders geeignet:
- direkte dreidimensionale Rekonstruktion zur Anzeige von Messungen von (natürlicherweise) dreidimensionalen Strukturen;
- Simulation sehr großer oder sehr kleiner Strukturen (um eine Veränderung des Detaillierungsgrades zu ermöglichen);
- Simulation von Umgebungen, die erst noch entwickelt werden müssen;
- Simulation von Kontingenzen in der Umgebung (Flugtraining, Training von Verhalten im Katastrophenfall);
- Spiele und Unterhaltung;
- Strukturierte Anzeige von komplexen Datenmengen.
Insbesondere mit dem letzten Punkt befaßt sich Bryson (ohne Jahr), vor allem im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Daten. Unter der Visualisierung wissenschaftlicher Daten (scientific visualization) versteht man die Verwendung von Computergraphiken zu deren besseren Verständnis durch komplexe Repräsentationen von wissenschaftlicher Konzepte oder Ergebnisse. Durch VR-Darstellungen lassen sich derartige Strukturen mit verschiedenen räumlichen und Tiefen-Merkmalen versehen und durch geeignete Mensch-Maschine-Schittstellen können diese Strukturen schnell und intuitiv exploriert werden. Es lassen sich auch Untersuchungen durchführen, die in der wirklichen Welt nicht möglich wären. Die Verwendung eines intuitiven, in Echtzeit arbeitenden Interfaces erleichtert die wissenschaftliche Untersuchung.
Die Darstellung in Echtzeit ermöglicht es dem Benutzer, auch Datenregionen zu betrachten, die er sonst aus Zeitgründen ignorieren würde, so daß auch interessante unerwartete Phänomene entdeckt werden können. Dabei sind die im vorigen Artikel genannten Performanzkriterien wichtig (Latenz kleiner als 100 Millisekunden und mindestens zehn Bilder pro Sekunde).
Bei der dreidimensionalen Darstellung wissenschaftlicher Daten (z.B. von simulierten Strömungsverläufen) können riesige Datenmengen anfallen. Dabei spielen aber die verwendete Hardware und Software eine begrenzende Rolle:
- Parallele Rechnerarchitekturen (MPP - massively parallel processing) sind zu bevorzugen (eventuell auch Vektorrechner, die mehrere Daten auf die gleiche Weise parallel abarbeiten können).
- Zur Durchführung der Berechnungen können unterschiedliche Algorithmen eingesetzt werden. Dabei muß man ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Genauigkeit und Geschwindigkeit anstreben. Außerdem sollte der Anwender auch während der Benutzung des Systems die verschiedenen Parameter beeinflussen können.
- Eine geschickte Repräsentation der Daten kann die Berechnungen ebenfalls beschleunigen, z.B. durch Wahl eines geeigneten Koordinatensystems.
Wegen der riesigen Datenmengen sollte auch eine Komprimierung erwogen werden, um Engpässe bei der Datenübertragung umgehen zu können. Wenn keine sehr hohe Genauigkeit erforderlich ist, können auch verschiedene Verfahren zur Datenreduktion eingesetzt werden (z.B. Fourier-Analyse).
Bei der Geschwindigkeit der graphischen Datendarstellung spielen zwei Faktoren eine Rolle: Die vertex processing time (Zeit zur Projektion eines dreidimensionalen Punktes auf eine zweidimensionale Ebene) und die pixel scan conversion time (Zeit zum Füllen eines Polygons). Durch geschickte Abstraktion bei der Bildschirmdarstellung läßt sich hierbei einige Rechenzeit einsparen. Wegen der Möglichkeit der Interaktion mit den virtuellen Objekten in Echtzeit (insbesondere bei Berücksichtigung der Position des Kopfes und durch die Möglichkeit der interaktiven Rotation) werden zusätzliche Tiefenkriterien angeboten, die es möglicherweise erlauben, von anderen rechenintensiven Tiefenkriterien zu abstrahieren.
Auch für die Darstellung wissenschaftlicher Daten ist ein natürliches, antropomorphes Interface erstrebenswert, das einen großen Teil des Sehfeldes umfaßt und das eine hohe Darstellungsqualität gewährleistet. Auf Benutzerakzeptanz ist ebenfalls Wert zu legen. Durch geeignete Interaktionsmöglichkeiten sollen sich die dargestellten Daten auf drei Arten kontrollieren lassen:
- Spezifizierung eines bestimmten Ortes (bzw. einer bestimmten Perspektive);
- Durchführung von Aktionen an dieser Stelle;
- diesbezügliches Feedback (auch durch dreidimensionale Klänge).
Zur Spezifizierung eines Ortes läßt sich beispielsweise die Position der Hand des Benutzers einsetzen, die Verwendung einer (zweidimensionalen) Maus als dreidimensionales Eingabegerät erweist sich dagegen als schwierig. Bei längerer Benutzung von Eingabegeräten, die in der Hand gehalten werden müssen, können Ermüdungserscheinungen auftreten. Ein ``Datenhandschuh'', der auf Fingerkrümmungen reagiert, stellt daher eine geeignete Alternative dar. Auch Haptik kann zur Unterstützung der Datendarstellung eingesetzt werden.
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Last modified 10-29-98