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Farbtheorien

Nach Boring ist eine Farbtheorie eine (meist spekulative) Annahme über die Prozesse, die sich zwischen dem externen Reiz und der Empfindung bzw. dem Gehirn abspielen. Als erste Farbtheorie kann diejenige von Newton betrachtet werden, der die naive Ansicht vertrat, daß die Vibrationen von sieben Primärfarben durch den optischen Nerv an das Sensorium weitergeleitet werden. Der Sitz des Sehens sei das Auge.

Zur Zeit von Young (1800) war bereits klar, daß die Retina das perzeptive Organ ist, durch das das Licht in Nervenerregung umgewandelt wird. Young vertrat die Ansicht, daß für die Farbempfindungen drei unterschiedliche Arten von Nerven verantwortlich sind. (und antizipierte so das Gesetz der spezifischen Nervenenergien).

Die Young-Helmholtzsche Theorie

Grundidee der Theorie von Young ist, daß alle Farben aus drei Primärfarben ermischt werden können, obwohl es mehr als drei physikalisch verschiedene Lichtarten gibt. Young suchte als erster die Erklärung hierfür in der Wahrnehmung und nicht in der Reizphysik. Die Theorie von Young blieb aber solange relativ unbeachtet, bis sie von Helmholtz wiederentdeckt wurde. Wegen des Bezuges zur Wellentheorie des Lichts, die im Widerspruch zur Newtonschen Körpertheorie steht, blieb die gesamte Theorie lang unbeachtet. Bestätigung erhielt die Theorie durch die Farbmisch-Experimente von Helmholtz, der allerdings anfangs nicht für jedes Paar von Farben ein Mischungsverhältnis finden konnte, das zu einer weißen Mischung führt. Grassmann wies auf die Fehler hin und Helmholtz konnte seine Position 1855 durch verbesserte Experimente behaupten. Im selben Jahr brachte auch Maxwell experimentelle Belege (Farbmischungen), die den Vorhersagen der Youngschen Theorie entsprechen.

Nach den Newtonschen Gesetzen muß sich jede Farbe aus drei Primärfarben ermischen lassen und Young folgerte daraus, daß dem drei retinale Prozesse zugrunde liegen. Damit aber auch Zwischenfarben wahrgenommen werden können, muß als weitere Annahme postuliert werden, daß jede Farbe alle drei Systeme erregt, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Helmholtz (1860) stellt entsprechende Erregungskurven vor. Maxwell (1855) machte diesen notwendigen Zwischenschritt bei seinen Berechnungen explizit: Er bestimmte für sein Farbdreieck eine Menge von drei Erregungskurven und nannte später zwei Komponenten für Farbenblinde.

Sowohl Maxwell als auch Helmholtz wußten, daß real keine drei spektralen Primärreize existieren, mit denen zu allen Farben ein Abgleich erstellt werden kann. Sie wählten deshalb für ihre Farbdreiecke imaginäre Primärfaben. Boring weist aber in diesem Zusammenhang auf das Phänomen der hypersaturierten Farben hin.

Vom theoretischen Standpunkt ist es bei diesen Überlegungen nicht klar, welche Reize tatsächlich als Primärfarben eingesetzt werden sollen. Meist werden zwei davon aus den Enden des Spektrums ausgewählt. König und andere suchten nach den physiologischen Primärfarben, indem sie die Farbwertkurven von Trichromaten und von Dichromaten analysierten (aus den Verwechslungslinien läßt sich erkennen, welche Primärfarbe fehlt). Diese Befunde liefern einen weiteren Hinweis auf die Gültigkeit der Young-Helmholtzschen Theorie.

Die Duplizitätstheorie

Die Duplizitätstheorie stammt von v. Kries (1894) und postuliert, daß das Dämmerungssehen von den Stäbchen vermittelt wird, während für das Tagessehen die Zapfen verantwortlich sind. Johannes Müller (1838) kannte den Unterschied zwischen Zapfen und Stäbchen noch nicht. Die Anatomie der Retina und die Beziehung zwischen Zapfen und Stäbchen wurden von H. Müller (1851) beschrieben, der (zusammen mit Kölliker) zu dem Schluß kam, daß zwei verschiedene Rezeptorarten auf der Retina angesiedelt sind. Müller entdeckte außerdem das Sehpurpur in den Stäbchen. Da sich Helmholtz vor allem auf die Youngsche Drei-Farben-Theorie konzentrierte, übersah er die Bedeutung dieses Befundes.

Max Schultze (1866) zeigte, daß die Stäbchen vor allen in der Netzhautperipherie auftreten und für das indirekte Sehen verantwortlich sind. Zapfen fehlen in der Retina von einigen nachtaktiven Tieren. Daher teilte Schultze den Stäbchen die Rolle des Nachtsehens zu und den Zapfen die des Tagessehens. Außerdem hielt er das Stäbchensehen für (phylogenetisch) primitiver. Auch Charpentier (1877), der die Befunde von Schultze nicht kannte, kam zu ähnlichen Ergebnissen: Aufgrund der Daten von Aubert und von Purkinje postulierte er einen Helligkeitssinn und einen Farbsinn. Parinaud (1881) stellte eine ähnliche Theorie auf, die der zwei Retinas, bei denen Zapfen und Stäbchen operieren.

Zu dieser Zeit wurde auch das Sehpurpur untersucht. Boll (1876) fand heraus, daß es unter Lichteinwirkung gebleicht wird. Die Bildung von Sehpurpur kann daher als Mechanismus der Dunkeladaptation betrachtet werden und das Purkinje-Phänomen erklären. König konnte schließlich die Absorbtionsspektren von Sehpurpur und Seh-Gelb bestimmen und zeigen, daß das Purkinje-Phänomen weitgehend mit den Unterschieden, die aufgrund der Absorptionsspektren zu erwarten sind, übereinstimmen.

Von Kries (1894) integrierte alle diese Befunde zu seiner Duplizitätstheorie, die seitdem allgemein anerkannt ist. Von Kries war außerdem überzeugt, daß für die Zapfen die Young-Helmholtzsche Theorie zutrifft.

Die Heringsche Theorie

Grundsätzlich stimmen alle Phänomenologen darin überein, daß es vier Grundfarben gibt: rot, gelb, grün und blau. Ernst Mach (1865) wies auf das Problem hin, daß eine Mischung von reinem Rot und von reinem Grün eine gelbe Farbe ergibt und nicht ein rötliches Grün, wie die Young-Helmholtz-Theorie vorhersagen würde. Das Machsche Prinzip des psychophysischen Parallelismus (jedem Psychischen entspricht ein Physisches und umgekehrt) scheint hiermit verletzt. An den Grundfarben muß etwas Fundamentales bei den zugrundeliegenden physiologischen Prozessen vorliegen.

Auch Aubert (1865) nannte Fälle, in denen die Young-Helmholtzsche Theorie nicht zutrifft (siehe oben Rot + Grün...; Betzold-Brücke-Phänomen, ...). Aubert nannte daher Schwarz, Weiß, Rot, Grün, Gelb und Blau Hauptfarben. Die Young-Helmholtzsche Theorie nimmt an, daß aus der Mischung bestimmter Farben ganz neue Farben emergieren (wie oben Gelb, oder Weiß als Mischung von drei Primärfarben).

Hering (1874) zeigte, daß alle Farben zwischen den Hauptfarben auf natürliche Weise angeordnet werden können. Allerdings existieren jeweils Paare von Gegenfarben, zwischen denen keine Übergänge möglich sind. Später vertrat er die Ansicht, daß Blau und Gelb die fundamentalen Farben sind, da die eine Hälfte des Spektrums bläulich ist und die andere gelblich. Reines Grün unterteilt diese beiden Abschnitte und reines Rot ist nicht im Spektrum vertreten.

Hering ging außerdem von drei verschiedenen Substanzen in der Retina aus, von denen jede metabolischen oder chemischen Veränderungen in eine von zwei antagonistischen Richtungen unterzogen werden kann: die Schwarz-Weiß-Substanz, die Blau-Gelb-Substanz und die Rot-Grün-Substanz. Außerdem erregen alle Prozesse immer ach den Schwarz-Weiß-Prozeß.

Ein Problem für die Heringsche Theorie liegt darin, daß für das Schwarz-Weiß-System ein grundsätzlich anderer Mechanismus postuliert werden muß. Insbesondere muß für das Schwarz-Weiß-System eine andere Art von Antagonismus postuliert werden (es gibt schließlich verschiedene Abstufungen von Grau). Deshalb mußte Hering das Konzept der Valenzen in seine Farbtheorie integrieren. Diese Valenzen repräsentieren die Erfahrungspotentiale der Erregungen; diese Zusatzannahmen konnten jedoch von späteren Theorien nicht beibehalten werden.

Modifikationen der fundamentalen Theorien

Am Ende des 19. Jahrhunderts stellten alle Wissenschaftler von Rang und Namen eine eigene Farbtheorie auf oder modifizierte eine bestehende. Hier sollen nur die wichtigsten genannt werden:

Schultze (1866) formulierte eine Evolutionstheorie der Farben, nach der die Stäbchen primitivere Organge sind als die Zapfen und das Dämmerungssehen ebenfalls primitiver ist als das Tagessehen. Auch die Duplizitätstheorie von v. Kries enthält evolutionsttheorietische Elemente. Von Hering stammt die Idee, das die Rot-Grün-Substanz (die bei Farbenblindheit alleine fehlen kann) erst später entwickelt wurde als die Gelb-Blau-Substanz und daß die Schwarz-Weiß-Substanz die älteste sei.

Auch Christine Ladd-Franklin (1892) stützte sich auf evolutionstheoretische Überlegungen: Ein primitiver Sinn ist das Schwarz-Weiß-Sehen, dann differenziert sich das Gelb-Blau-Sehen und schließlich das Rot-Grün-Sehen heraus, welches aus ungenannten Gründen nicht weiter ausdifferenziert wurde. Da eine Mischung aus reinem Grün und reinem Rot Gelb ergibt, wird angenommen, daß sich das Rot-Grün-System aus dem Gelben System entwickelt hat. Aus ähnlichen Gründen soll das Gelb-Blau-System aus dem Weißen System entstanden sein. Ladd-Franklin postuliert, daß sich diese Differenzierung in der Dekomponierung von retinalen Farbmolekülen ausdrückt (die Idee, daß Farbensehen auf den Zerfall von Farbmolekülen zurückgeht, stammt von Donders). Nach Ladd-Franklin sind außerdem neben den Grundfarben die Mischungen von je zwei der antagonistischen Grundfarben sogenannte einfache Farben, alle anderen Mischungen bezeichnet sie als komplexe Farben.

Von McDougall (1901) und von Schenck (1907) wurde jeweils eine evolutionstheoretisch begründete Farbtheorie entwickelt, der die Young-Helmholtzsche Theorie den ersten Stufen der Farbwahrnehmung zugrunde liegt.

Neben den evolutionstheoretischen Farbtheorien wurden auch solche entwickelt, die das zentrale Nervensystem mit berücksichtigen. In der Psychologiegeschichte entwickelte sich das Wissen über Wahrnehmungsprozesse allgemein von außen nach innen (also von den Sinnesorgangen zum Gehirn). Eine wichtige Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien.

Donders (1881) schlägt vor, daß die Young-Helmholtzsche Theorie auf der Ebene der Netzhaut Gültigkeit besitzt, während die anderen ``einfachen'' Farben erst im Gehirn gebildet werden. Obwohl es sechs Grundfarben gibt, reichen daher drei spezifische Sinnesenergien aus. Gelb entsteht dann beispielsweise, wenn im Gehirn gleichzeitig Rot und Grün erregt werden. In diesem Sinne folgte Donders dem Prinzip des psychophysischen Parallelismus von Mach: Jeder einfachen Farbe muß eine einfache Substanz oder ein Prozeß im Gehirn entsprechen.

G. E. Müller (1896) modifizierte die Heringsche Theorie durch das Hinzufügen von kortikalem Grau, um die Sonderstellung des Schwarz-Weiß-Mechanismus etwas abzuschwächen. Ein mittleres Grau sei dann der ``Neutralpunkt'' des Schwarz-Weiß-Systems. Nach Müller fügt das Gehirn allen Farbwahrnehmungen ein konstantes Grau hinzu. In diesem Zusammenhang formulierte Müller (1896) auch seine bekannten psychophysischen Axiome, die den fundamentalen Zusammenhang zwischen psychischen Ereignissen und deren Entsprechnungen im Gehirn betonen (es wird eine isomorphe Beziehung postuliert); diese Zusammenhänge werden aber heute angezweifelt. Die Idee von Müller zeigt sich in folgendem Beispiel: Wenn Gelb nicht als eine Mischung von Rot und Grün wahrgenommen wird, dann muß es auf einen einfachen Gehirnprozeß zurückführbar sein und nicht auf eine Interaktion des Rot-Systems und des Grün-Systems.

``Moderne'' Theorien des Sehens

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzte sich eine neue Einstellung zur Psychophysiologie der Wahrnehmung durch. Die phänomenologischen Aspekte wurden weniger betont und die physikalischen und physiologischen Aspekte mehr. Insbesondere wurde auf spekulative physiologische Theorien verzichtet und mit Hilfe von Experimenten sollten verschiedene Eigenschaften des visuellen Systems entdeckt werden, denen dann retinale Prozesse zugeordnet werden sollten.

Die Entdeckung des Alles-oder-Nichts-Prinzips der Nervenleitung veränderte die Theorien des Sehens radikal. Die Codierung sensorischer Kontinua konnte erst mit Hilfe der Frequenz-Theorie von Forbes und Gregg (1915) erklärt werden, die 1826 von Adrian weiterentwickelt wurde.

Hecht (1929) versuchte, eine Theorie der retinalen Erregung zu entwickeln, die kompatibel ist mit dem Wissen zur Nervenleitung. Diese Theorie berücksichtigt nicht nur die Intensität der Reize bzw. der dadurch ausgelösten photochemischen Reaktionen, sondern auch deren Dauer. Der Sehfarbstoff zerfällt bei Lichteinfall, wird aber auch wieder regeneriert. Bei einem bestimmten Adaptationszustand liegt ein charakteristisches Gleichgewicht vor zwischen

Eine Weiterentwicklung dieser Theorie, die weite Anerkennung fand, stammt von Rushton (1972).


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Last modified 10-29-98