Die Psychologie hat sich erst vor relativ kurzer Zeit als eigenständige Wissenschaft etabliert, die sich von anderen Naturwissenschaften und der Philosophie angrenzt. Eines der ersten Themen der Naturphilosophen war das Sehen, da Wahrnehmung auch eines der ersten Probleme der Physik war. Die ersten Anfänge der Lehre vom Sehen stammen weder aus der Psychologie noch aus der Physik, sondern aus der Philosophie.
Euklid formulierte die Gesetze der Optik; das korrekte Brechungsgesetz wurde aber erst 1621 von Snell formuliert. Roger Bacon hat 1266 die Brille erfunden. 1608 entwickelte ein holländischer Brillenhersteller das erste Fernrohr; im Jahre 1609 baute Galileo ein besseres Fernrohr und entdeckte damit 1610 die ersten Jupitermonde. Auch Kepler (1604/1610) publizierte wichtige Arbeiten zur Optik.
In der Antike glaubte man, daß Licht vom Auge ausgesendet wird und sich mit den von den Objekten ausgesendeten Repräsentationen vermischt. Die Epikuräer glaubt beispielsweise, daß Objekte Abbilder aussenden, die in das Auge gelangen und dort zu Wahrnehmung des Objektes führen. Das Konzept des Lichtes wurde also ursprünglich entwickelt, um die korrekte Wahrnehmung von entfernten Objekten erklären zu können. In der Antike hielt man Farben für Mischungen von Licht und Dunkelheit; Descartes glaubte, daß Farbe von unterschiedlichen Rotationsgeschwindigkeiten der Partikel abhängt; Hooke (1665) ging schließlich von den beiden Primärfarben Rot und Blau aus, zwischen denen sich alle anderen Farben anordnen lassen.
Im 17. Jahrhundert existierten bereits zwei verschiedene Theorien zum Licht: Licht wurde entweder als Welle in einem alles durchdringenden Medium (undulatory theory) oder als Projektion von Partikeln durch leuchtende Körperchen (corpuscular theory) erklärt. Newton unterstützte die Körper-Theorie. Die Lichtgeschwindigkeit wurde ursprünglich für unendlich gehalten (z.B. von Kepler und Descartes). Römer (1676) war der erste, der versuchte, die Lichtgeschwindigkeit zu bestimmen (aus dem Zeitunterschied der Verfinsterung eines der Jupitermonde bei Bewegung der Erde auf den Planenten hin oder von ihm weg).
Die traditionelle Ansicht zur Physiologie des Auges stammt von dem Araber Alhazen (ca. 1039), wonach die Linse das perzeptive Organ darstellt. Kepler und Leonardo da Vinci betonten die Ähnlichkeit des Auges mit einer camera obscura; Kepler folgerte, daß die Retina das perzeptive Organ sei, da durch die Linse auf der Retina ein (spiegelverkehrtes) Abbild zu sehen ist. Akkomodation erklärte er mit einer Verschiebung der Linse; diesen Standpunkt vertrat auch Descartes aufgrund von Untersuchungen an einem Stierauge. Descartes beschrieb auch die Tatsache, daß Objekte in unterschiedlicher Entfernung zu einer verschiedenen Konvergenz der Augen führen. 1688 beschrieb Mariotte den blinden Fleck an der Stelle, an der der optische Nerv aus der Retina austritt. Daraus folgt logisch, daß die Retina das perzeptive Organ sein muß.
Von Newton (1642-1727) stammt die erste Theorie der Farben; bereits vor seinem 30. Lebensjahr vollbrachte er einiges: Entdeckung des Binomial-Theorems, Erfindung der Differential- und Integralrechnung, Entwicklung der Gravitationstheorie, Zerlegung von Licht mit Prisma. Um wissenschaftliche Querelen zu vermeiden, veröffentlichte Newton seine Arbeiten erst nach sehr gründlicher Revision.
Die besondere Entdeckung von Newton war, daß sich weißes Licht aus verschiedenen unterscheidbaren Spektralfarben zusammensetzt. Aus der Tatsache, daß durch Brechung Licht zerlegt werden kann, folgerte Newton außerdem, daß durch die Linsen bei Teleskopen chromatische Aberrationen auftreten; er entwickelte deshalb das Spiegelteleskop. Zur Farbtheorie leistete Newton folgende Beiträge:
Nach Newton war die Bedeutung des Spektrums bekannt. Wollaston (1802) beschreibt die später als Fraunhofer-Linien bekannten Lücken im Spektrum des Sonnenlichts, die dazu verwendet werden können, dieses zu unterteilen. Dalton (1794) erregte großes Interesse an der Farbenblindheit, die zu der Unterscheidung zwischen der ``Farbe'' von Licht und der Farbe als Empfindung führt.
Thomas Young (1773-1829) war Physiker, dessen Hauptleistung darin bestand, die Wellentheorie des Lichts wieder zu etablieren. Er konnte auch zeigen, daß die Akkomodation durch die unterschiedliche Krümmung der Linse zustandekommt. Eine der vieldiskutierten Fragen im 18. Jahrhundert war nämlich, wie die Akkomodation des Auges funktioniert. Folgende Mechanismen wurden vorgeschlagen und von Young entsprechend diskutiert:
Young betrachtet seine Theorie der Farbempfindung als eine Weiterentwicklung der Newtonschen Wellen-Theorie (die dieser später zugunsten der Körper-Theorie aufgab). Während Newton von nur sieben Grundfarben ausging, betrachtete Young eine Vielzahl verschiedener Wellenlängen aus dem Spektrum. Er folgerte, daß auf der Retina ein physikalischer Mechanismus implementiert sein muß, da nicht ein einziger Punkt auf der Retina gleichzeitig alle verschiedenen Bestandteile des Spektrums weiterleiten kann. Er postulierte im Jahre 1801 verschiedene retinale Substanzen, die die Vibrationen des Lichts aufnehmen können und die jeweils mit spezifischen Nervenbahnen verbunden sind. Da die Anzahl der verschiedenen Systeme nicht zu groß sein kann, postuliert er deren drei (rot, gelb, blau).
Youngs Theorie basiert also auf dem Wellen-Charakter des Lichts und der Newtonschen Theorie der Farbmischung bzw. der Tatsache, daß sich alle Farben aus drei Primärfarben ermischen lassen. Daraus erklärt Young die Empfindlichkeit eines einzelnen Punktes der Retina für eine Vielzahl verschiedener Farben. Außerdem vertrat Young die Ansicht, daß die Farbe physiologisch durch die Erregung bestimmter Nervenelemente repräsentiert wird.
Goethe (1749-1832), der mehr der Introspektion als der experimentell-empirischen Untersuchung vertraute, schrieb 1810 die zweibändige Farbenlehre. Der erste Teil dieses Werkes enthält die Beschreibung verschiedener subjektiver Phänomene wie Irradiation (das Ausbreiten von Weiß auf Schwarz), Hell- und Dunkeladaptation, positive und negative Nachbilder, Beleuchtungs- und Kontrastphänomene sowie Farbenblindheit.
Der Rest der Farbenlehre ist von geringem wissenschaftlichen Wert und besteht hauptsächlich aus Polemik, die sich gegen Newton richtet. Goethes Farbtheorie behauptet, daß Farben als Mischung von Licht und Dunkelheit zu verstehen sind. Goethe kannte scheinbar nur die subtraktive Farbmischung (die sich aus der Mischung von Farbpigmenten ergibt). Die Farbtheorie selbst basiert auf einer Zwei-Farben-Hypothese mit den Grundfarben Gelb und Blau.
Goethe wollte nicht glauben, daß Weiß aus verschiedenen Farben zusammengesetzt ist. Um Newton zu widerlegen, beschaffte er sich ein Prisma, hielt es gegen eine weiße Wand und fand, daß das hindurchgelassene Licht immer noch weiß aussieht (außer an den Rändern). Wegen der großen Berühmtheit von Goethe fand dessen Farbenlehre dennoch längere Zeit Beachtung, während Youngs Farbtheorie weitgehend unbekannt blieb.
Goethe führte die phänomenologische Tradition an, die von Purkinje und Johannes Müller fortgeführt wurde und später von Hering, Stumpf und Wertheimer vertreten worden ist. Die Gegenströmung bildet der ``Experimentalismus'', der von Fechner und vor allem von Helmholtz vertreten wird. Das Wirken der Phenomönologen und der Experimentalisten zeigt sich auf dem Gebiet der visuellen Wahrnehmung besonders deutlich.
Johannes Evangelista Purkinje (1787-1869) war Physiologe in Österreich, der sich mit subjektiven visuellen Empfindungen in der Tradition von Goethe beschäftigte. Er beschrieb die Phänomene, die sich bei Stimulierung des Auges durch elektrischen Strom und durch Ausüben von Druck ergeben. Weitere Phänomene, mit denen er sich befaßte, sind Nachbilder, Dunkeladaptation, der blinde Fleck, Phänomene des binokularen Sehens und die Farbempfindlichkeit in Abhängigkeit von der retinalen Exzentrizität. Besonders bekannt wurde das nach ihm benannte Purkinje-Phänomen: Beim Übergang von schwacher zu stärkerer Beleuchtung verändern sich Farbton und Helligkeit unterschiedlicher Farben.
Ebenfalls in der Tradition von Goethe versucht Titchener, durch die Introspektion von hochtrainierten Beobachtern zu Erkenntnissen zu gelangen und nicht durch sorgfältiges Experimentieren. Auch Johannes Müller (1801-1858) begann seine wissenschaftliche Karriere mit Problemen des Sehens.
Helmholtz (1821-1894) betonte dagegen die experimentelle Technik besonders. Es begann damit (1850), die Nervenleitungs-Geschwindigkeit zu messen und er legte seinen Theorien das Müllersche Prinzip der spezifischen Nervenenergien zugrunde. Nach Helmholtz wurde im Bereich des Sehens intensiv geforscht. Wichtige Namen in diesem Zusammenhang sind König, Hering, G.E. Müller usw.