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Die Grundfrage zur Wahrnehmung besteht darin, wie äußere Gegenstände in den Sinn des Betrachters gelangen können. Man kann dabei sensation (die reine Sinnesempfindung) und perception (das Erfassen eines Objektes) unterscheiden; in der unterschiedlichen Betonung dieser Aspekte unterscheiden sich die eher empirisch orientierten von den eher ganzheitlich (gestaltpsychologisch) orientierten Schulen.
Ähnlich unterscheiden sich auch die Standpunkte des Nativismus (Descartes angeborene Ideen, Leibniz prästabilisierte Harmonie, Kant a priori Intuitionen) und des Empirizismus (Hobbes, Locke, Berkeley tabula rasa):
- Die Gedanken des Nativismus leben in der Phänomenologie von Goethe, Hering und Stumpf fort und münden in die Gestaltpsychologie. Formal wurde die nativistische Theorie durch die spezifischen Sinnesenergien von Müller (1826) begründet.
- Die empirizistische Haltung wurde von Lotze fundiert, nach dem Assoziationen aus vielen sensorischen Komponenten bestehen können und der behauptet, daß alle räumlichen Wahrnehmungen von Muskelempfindungen (z.B. der Augenmuskeln) abhängen. Helmholtz betonte den Unterschied der Nervenfasern als Grundlage der Ortswahrnehmung; er vertrat auch die Ansicht, daß die geometrischen Axiome nicht angeboren, sondern aufgrund der Struktur unserer Welt erlernt sind (in einer elliptischen Welt würde sich eine andere Geometrie ergeben). Auch Wundt ist in die Tradition der Empirizisten einzuordnen. Die Weiterentwicklung im 20 Jahrhundert ist der Behaviorismus (aufgrund der besonderen Bedeutung des Lernens).
- Külpe und Titchener versuchten, den nativistischen und den empirizistischen Standpunkt zu integrieren.
Historisch lassen sich folgende Standpunkte zur Empfindung finden:
- Die Griechen (Demokrit und Epikur): Von Objekten ausgesandte kleine Abbildungen werden vom Denken (mind) wahrgenommen.
- Früher Empirismus: Hobbes (1651) meint, daß nichts im Geiste sei, was nicht durch die Sinne wahrgenommen wurde; John Locke (1690) geht von der Idee als mentales Grundelement aus, die durch Wahrnehmung oder durch geistige Operationen zustandekommt. Bishop Berkeley (1709) glaubte, daß der Geist die eigentliche Realität sei, so daß Wahrnehmen und individuelles Sein gleichzusetzen sind. Er beschäftigte sich mit dem Problem wahrgenommener Größe, die durch Assoziation von Konvergenz, Akkomodation und Unschärfe zustande kommt. David Hume (1739) unterschied zwischen reinen Empfindungen und Ideen (Gedächtnisrepräsentationen). Hartley (1749) ging schon davon aus, daß die Sinnesempfindungen von den Sinnesorganen durch die Nerven an das Gehirn weitergeleitet werden.
- Französische mechanistische Tradition: Descartes (1662) hält den Körper für eine Maschine, bei der von äußeren Objekten über die Sinnesorgane entsprechende Reflexe ausgelöst werden.
- (Englischer) Assozationismus: James Mill (1829) betrachtet einfache Ideen als zusammengesetzt aus Assoziationen; auf diese Weise können immer komplexere Gebilde entstehen.
- Bell-Magendie-Gesetz (1811-1822): Sensorische und motorische Nerven.
- Müller (1826) formuliert das Gesetz der spezifischen Sinnesenergien.
- Wundt (1858), ein Schüler von von Helmholtz, begründet die experimentelle Psychologie als physiologische Psychologie, die die assoziationistische Tradition weiterführt.
- Ein Streitpunkt bezüglich der Sinnesempfindungen war die Anzahl verschiedener Elemente (mindestens fünf: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Spüren); aber der Tastsinn läßt sich weiter untergliedern. Helmholtz beendete diesen Streit durch die Definition des Begriffs der Modalität als Klasse von Empfindungen, die sich auf qualitativen Kontinua anordnen lassen.
- Die Strömungen des Behaviorismus und des logischen Positivismus versuchten Empfindungen über beobachtbare Verhaltensweisen zu definieren; letztlich führte dies dazu, daß Empfindungen mit Diskriminationsleistungen gleichgesetzt wurden. Die Gestaltpsychologie als Gegenströmung suchte dagegen nach ganzheitlichen unmittelbaren Erfahrungen.
Nach Thomas Reid (1765) wird eine Empfindung von einem Sinnesorgan ausgelöst; die Wahrnehmung (Wundt spricht in diesem Zusammenhang von Vorstellungen) geht jedoch darüber hinaus, indem sie auch ein entsprechendes Konzept aktiviert. Für die Wahrnehmungen spielen daher Assoziationen eine wichtige Rolle. Die Gestaltpsychologie suchte nach Invarianten dieser Wahrnehmungen (Gestaltqualitäten).
Titcheners (1909) Kontexttheorie schreibt neuartigen Beobachtungen nur dann eine Bedeutung zu, wenn entsprechende Vorstellungsbilder aktiviert werden. Wenn eine Wahrnehmung dagegen erst einmal alt (habituiert) ist, kann der Kontext entfallen und die Bedeutung direkt erfaßt werden. Tolman (1918) erkannte als erster, daß adäquates Verhalten eine Bedeutung besitzen kann und daher auch einen effektiven Kontext für die Wahrnehmung darstellen kann.
Külpe (1893) befaßte sich als erster mit den Attributen von Wahrnehmungen: Er nennt Qualität, Intensität und Dauer sowie (für Fühlen und Sehen) Ausdehnung. Solche Attribute lassen sich nicht von den Empfindungen trennen und sie können unabhängig voneinander variieren (letzteres ist aber bei bestimmen Attributen von Tönen nicht der Fall). Dieses Attributkonzept hat aber gewisse Schwierigkeiten:
- Was ist die Intensität einer visuellen Empfindung?
- Das Volumen von Tönen bleibt unberücksichtigt.
- Durch die Festlegung auf eine begrenzte Anzahl von Attributen können nicht beliebige deskriptive Begriffe verwendet werden.
- Handelt es sich bei den Attributen um bewußte Konzepte?
Die psychologische Realität solcher Attribute zeigt sich aber beispielsweise darin, daß Versuchspersonen solche Attribute besser beurteilen können, wenn deren Aufmerksamkeit bereits vor der Reizpräsentation auf die entsprechende Dimension gelenkt wird.
Es läßt sich aber auch zwischen verschiedenen Modalitäten eine Einheitlichkeit finden. Wundt wies beispielsweise auf die Ähnlichkeit zwischen Sehen und Fühlen hin; siehe auch cross modality matching.
Die Methoden zur Untersuchungen von Empfindungen und Wahrnehmungen stammen aus der Psychophysik. Der bedeutendste Namen in diesem Zusammenhang ist Fechner, der 1860 die Elemente der Psychophysik veröffentlichte. Dem ging das allgemeine Erwachen der Naturwissenschaften, die Verbesserung der Beobachtungsmethoden und bessere Messungen voraus.
Fechner (gelernter Physiker) ging vom Weber´schen Gesetz aus, nach dem zwei Empfindungen ebenmerklich unterscheidbar sind, wenn ein bestimmtes (konstantes) Verhältnis der zugrundeliegenden Reizintensitäten vorliegt. Von Fechner stammen folgende wichtige Beiträge zur Psychophysik:
- Ausarbeitung der wichtigsten psychophysischen Methoden: Grenzwertmethode, Methode der richtigen und falschen Fälle (Konstanzmethode), Methode des durchschnittlichen Fehlers (Herstellungsmethode).
- Diskussion der fundamentalen Maße: Absolutschwelle, Unterschiedsschwelle und sensorische Äquivalenz (später kamen noch Empfindungsdistanzen (Plateau) und Verhältnisse von Empfindungen (Stevens) hinzu).
- Fechnersches Gesez, , aus dem Weberschen Gesetz hergeleitet.
- Eigene Durchführung von zahlreichen Messungen.
- Untersuchung der inneren Psychophysik (Zusammenhang zwischen Empfindung und neuronaler Erregung).
Weitere Namen in der Tradition Fechners sind Delboef, G.E. Müller, Wundt, Merkel, Titchener, Urban und Guilford.
Descartes war grundsätzlich gegen die Messung von Empfindungen, da der Geist nicht körperhaft sei; Herbart wollte zwar Ideen messen und mathematisch formulieren, dazu aber keine Experimente durchführen.
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Last modified 10-29-98