Sprachentwicklung

 

 




Rainer Zwisler, 1990

 

rainer@zwisler.de




 

1. Sprache als System und als Handlung:

 

 

Definition nach SROUFE & COOPER:

Sprache ist ein komplexes Kommunikationssystem, das willkürliche Symbole verwendet, die auf unzählige Arten kombiniert werden können, um Information zu übermitteln. Der Antrieb zum Spracherwerb scheint intrinsisch zu sein. Kinder sind selbst an der Kommunikation interessiert: Sie initiieren Kommunikation und halten sie am laufen, durch Fragen wie "was' das?" Außerdem wollen sie Bedeutung übermitteln (läßt sich darean sehen, daß sie wütend werden, wenn man sie nicht richtig versteht).

Die Grundlage der Sprache bilden Übereinkünfte über die Kombination von Lauten zu bedeutungsvollen Einheiten und von Worten zu Sätzen.

Phoneme sind die Klänge, aus denen sich die Sprache zusammensetzt. Morpheme sind die kleinsten bedeutungstragenden Einheiten. Syntax ist das Studium der Regeln, die bestimmen, wie Wörter zu einem Satz zusammengefaßt werden. Semantik ist das Studium der Bedeutungen, die die Sprache übermittelt.

Auch die Konversation unterliegt bestimmten Regeln: diese werden in der Diskursanalyse untersucht. Die Pragmatik unterwsucht die Regeln, die die Sprachverwendung in unterschiedlichen sozialen Kontexten steuern. Es scheint so, als würden auch schon kleine Kinder pragmatisches Wissen besitzen: Wenn 5-Jährige einem 2-Jährigen etwas erklären sollen, verwenden sie einfachere Sätze, sprechen langsamer und wiederholen öfter (SHATZ & GELMAN), obwohl ihnen das nicht explizit beigebracht wurde. Die Soziolinguistik bschäftigt sich mit unterschiedlichem Sprachgebrauch aufgrund der Zugehörigkeit zu verschiedenen sozialen Gruppen.

Die rezeptiven Fähigkeiten eines kindes entwickeln sich vor den produktiven.

 

 

Strukturelle Betrachtungsweise:

In seiner Zeichentheorie der Sprache (Semiotik) unterscheidet MORRIS drei Dimensionen:

- Die syntaktische Dimension; sie beinhaltet die Beziehung sprachlicher Zeichen untereinander,

- die semantische Dimension; durch sie wird das Verhältnis der Zeichen zu nichtsprachlichen Realitäten bestimmt,

- die pragmatische Dimension; sie stellt das Verhältnis von den Zeichen zu ihren Benutzern her.

Die Form der Sprache, ihr Bedeutungsgehalt und ihr Gebrauch gehören eng zusammen. Als verschiedene Aspekte aufgefaßt sind sie allerdings voneinander abstrahierbar.

CHOMSKY rekonstruiert die Sprache als formales System, in dem isolierbare syntaktische und semantische Elemente regelhaft aufeinander bezogen sind. Die wichtigste semantische Grundeinheit ist dabei der Satz. Sprachbeschreibung und -erklärung sind damit reduziert auf die Beschreibung und Erklärung von Sätzen; die Sprachverwendung bleibt ausgeklammert. Nach Chomsky erbringt der Sprecher/Hörer ("native speakers") die folgenden Leistungen:

- Sie können Sätze auf ihre Grammatikalität hin beurteilen.

- Sie erkennen, ob verschiedene Sätze bedeutungsgleich sind.

- Sie sind in der Lage, Mehrdeutigkeiten zu durchschauen und durch

Paraphrasierung aufzulösen.

- Sie sind fähig, immer wieder neue Sätze zu bilden und zu verstehen. Sie zeigen sprachliche Kreativität.

Aus den ersten drei Beobachtungen zieht Chomsky den Schluß, daß den wahrnehmbaren Gestalten von Sätzen Baupläne zugrunde liegen, die die eigentliche Bedeutung konstituieren. Dabei unterscheidet er eine Oberflächenstruktur und eine Tiefenstruktur von Sätzen. In der Tiefenstruktur ist dabei festgelegt, welche grammatikalischen Kategorien ein Satz enthält, welche grammatikalischen Relationen zwischen den Kategorien bestehen, welche lexikalischen Einheiten für die grammatischen Kategorien eingesetzt werden können. Der Tiefenstruktur wird entsprechend eine semantische Interpretation zugeordnet, die ihre Bedeutungsstruktur bestimmt. Mittels Transformationsregeln wird die Tiefenstruktur in die Oberflächenstruktur überführt. Die richtige Artikulation des Satzes wird schließlich durch die phonologische Komponente gewährleistet.

 

 

Funktionale Betrachtungsweise:

Der Mensch produziert aber nicht nur Sätze, er verwendet sie intentional und zweckgerichtet. Sprachliche Kompetenz im Sinne der Verständigungsfähigkeit umfaßt das Wissen, in welchem sozialen Kontext, in welcher Weise und mit welchen Erwartungen welchem Gesprächspartner etwas zu sagen und unter Umständen auch etwas zu verschweigen ist.

Wir lernen die sozio-normativen Regeln der Verständigung, also die kommunikative Kompetenz, weil wir kommunizieren, nicht weil wir grammatische Regeln gelernt haben. Durch den Gebrauch von Sprache erwerben wir die Struktur, die wiederum neue Formen des Gebrauchs ermöglicht. Funktion und Struktur sind also untrennbar miteinander verbunden.

Die linguistische Pragmatik untersucht Sprache unter dem funktionalen Aspekt: Sprechen ist eine Form des Handelns; die Sprechhandlung (Sprechakt) ist konstituierend für die Beziehung der Kommunikationspartner zueinander; sie kann, wie jede andere Handlung auch, gelingen oder mißlingen.

BÜHLER betonte den Handlungscharakter der Sprache; sie ist für ihn ein Werkzeug ("organon"), "um Einer dem Anderen etwas mitzuteilen über die Dinge." Damit werden drei Komponenten hervorgehoben:

- die subjektive Komponente: Einer (Ausdruck),

- die intersubjektive Komponente: dem Anderen (Apell),

- die objektive Komponente: über die Dinge (Darstellung).

Das Zeichen ist

- Symbol kraft seiner Beziehung zu Gegenständen und Sachverhalten (objektive Komponente), es ist

- Symptom kraft seiner Abhängigkeit von der Sprecherintention, also vom Sender (subjektive Komponente) und es ist

- Signal kraft seines Apells an den Hörer, dessen Verhalten es steuert (intersubjektive Komponente).

Eine Sprechhandlung dient also immer zugleich der Darstellung, dem Ausdruck und dem Apell. Allerdings wird bei den verschiedenen möglichen Sprechhandlungen immer nur eine Funktion im Vordergrund stehen können.

Wenn ein konkretes Ding oder ein konkreter Vorgang (z.B. ein Lautgebilde) als Zeichen fungiert, dann sind es stets bestimmte abstrakte Momente an diesem Ding oder Vorgang (und nur sie), an die die Zeichenfunktion geknüpft ist. BÜHLER nennt dies das Prinzip der abstrakten Relevanz; ein Teil des Lautgebildes fungiert als Zeichen, alles andere ist irrelevant.

BÜHLER untersucht vor allem das Zeichen. Das Zeichen ist zweifelos das Kernstück der Sprache, aber die Sprache ist mehr als das Zeichen. NAch RÉVÉSZ sind Ausdruck und Ausgedrücktes koexistente Pole einer psychischen Einheit. Der Ausdruck, der zu einem Zweck eingesetzt wird, wird zum Signal oder Sprachsymbol.

 

PEARCE unterscheidet verschiedene Grade des Zusammenhangs zwischen Zeichen und Bezeichnetem:

- Icon (das Zeichen hat Ähnlichkeit mit dem Bezeichneten),

- Index (das Zeichen steht mit dem Bezeichneten in kausalem Zusammenhang) und

- Symbol (das nach einer konventionellen Regel dem Bezeichneten zugeordnet ist).

SAUSSURE betont die Willkürlichkeit der Zusammengehörigkeit von Zeichen und Bezeichnetem. Signe ist die durch Assoziation entstandene Einheit von signifiant (die psychologische Spur des Lautes, nicht der Laut selbst) und signifié (der Begriff).

 

AUSTIN und SEARLE untersuchten den Handlungscharakter der Sprache und unterschieden folgende Komponenten:

- Inhaltskomponente (Lokution): Was sage ich dir?

- Beziehungskomponente (Illokution): Wie sage ich es dir?

- Interpretationskomponente (Perlokution): Wie verstehst du, was ich dir sage?

Die Sprechhandlung ist also dialogischer Natur, da auch die Reaktion des Hörers mit einbezogen ist, denn ob eine Sprechhandlung gelingt oder nicht, ob sie also die beabsichtigte Wirkung erzielt, hat nicht allein der Sprecher in der Hand, sondern es hängt auch ganz wesentlich davon ab, ob der Hörer mitspielt.

 

 

Phasen entwicklungspsychologischer Theorienbildung:

Im "Besitz" der Sprache zu sein heißt einmal, die Beherrschung des sprachlichen Ausdrucksmittels im Sinne des grammatischen Regelrepertoires und andererseits, sich anderen Personen verständlich zu machen, sich über Gegenstände und Sachverhalte zu verständigen und dabei gegebenenfalls eine Einigung erzielen zu können. Der System-Aspekt wurde die "linguistische Kompetenz" und der Handlungs-Aspekt die "kommunikative Kompetenz" genannt.

Ein Problem der frühen Sprachforschung war, daß die Sprache nicht als Fortsetzung des nicht-sprachlichen Handelns mit einem anderen Mittel begriffen wurde. Die weitgehende Einschränkung auf die Untersuchung des syntaktischen Teils der Grammatik ist als Folge der Tatsache zu werten, daß Chomsky der Syntax Priorität einräumt und diese auch am befriedigendsten präzisiert hat. Die Forscher interessierten sich auch nicht für das einzelne Kind in seinem konkreten Sozialisationskontext, sondern für das Kind in einem universellen ahistorischen Sinn.

 

Semantisch-relationale Phase: BLOOM hat zuerst den Bedeutungsaspekt gegenüber der rein syntaktischen Analyse hervorgehoben: Man kann nur vor dem Hintergrund des Gesamtkontextes zutreffend interpretieren. Die Frage, was das Kind eigentlich meint, wenn es Wörter in einer bestimmten Abfolge äußert, kann nur beantwortet werden, wenn auch festgestellt wird, wem gegenüber in welcher konkreten Situation es diese und keine anderen Wörter äußert. Diese Methode der Kontextanalyse macht allerdings bei den Reaktionen des Kommunikationspartners halt. Die kindlichen Äußerungen werden wiederum vom dialogischen Geschehen abgezogen und erhalten den Status kommunikationsloser Sätze. Man ging in Anlehnung an Piaget davon aus, daß sich die linguistische Kompetenz in direkter Abhängigkeit von der Denkentwicklung ausbilde. Die Entwicklung der Sprache ist somit Ausdruck der Verstandesentwicklung. Wenn ein Kind das Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung bei Handlungen und Erlebnissen verstanden hat, kann es begreifen, daß dieses Verhältnis mit subtilen Wort- und Satzveränderungen dargestellt werden kann. Dies erfolgt erst im zweiten Lebensjahr.

 

Funktional-kommunikative Phase: LORENZER ging davon aus, daß Bedeutungen lebenspraktische Entwürfe sind, die in einem Wechselprozeß produziert werden, bei dem das Kind Produkt und Produzent ist. Das Kind kann sich, schon bevor es Sprache im linguistischen Sinn erworben hat, mit der Mutter verständigen. Das Ziel der Forschung ist es daher, von diesen prälinguistischen Formen auszugehen und den zunehmenden Erwerb sprachlicher Struktur- und Verwendungsregeln zu beschreiben und zu erklären. Relevante Untersuchungsfragen sind:

- Welche Formen der Kommunikation zwischen dem Kind und seine Bezugspersonen bilden sich heraus?

- Wie baut das Kind im und über den Dialog sein grammatisches System auf?

 

 

Einteilung der Entwicklung:

KOHNSTAMM unterscheidet die phonetische Entwicklung, die sich auf die Laute bezieht, die ein Kind bilden kann; die semantische Entwicklung betrifft die Bedeutung dessen, was es sagt; die syntaktische Entwicklung bezeichnet die Entwicklung des kindlichen Satzbaus; die morphologische Entwicklung betrifft unter anderem das Konjugieren der Verben und Deklinieren der Substantive.

 

 

 

2. Wesentliche Merkmale der Sprache:

 

 

Sprache bei Primaten und anderen Tieren:

Bienen können mittels eines "Tanzes" ihren Artgenossen vermitteln, wo es welches Futter gibt (Von FRISCH). Hierbei handelt es sich also um ein elaboriertes System der Kommunikation.

 

Kriterien der Sprache: HOCKETT hat dreizehn wesentliche Merkmale der menschlichen Sprachen zusammengetragen:

- Der vokal-auditorische Kanal

- sich ausbreitende Übertragung und gerichteter Empfang (als Folge der Verwendung des vokal-auditorischen Kanals)

- Schnelles Schwinden (Signal ist nur vorübergehend)

- Austauschbarkeit (der Sprecher kann jede gesprochene Mitteilung,die er versteht, reproduzieren)

- Totales Feedback (Sprecher kann seine eigene Äußerung hören)

- Spezialisierung (die Mittel für die Kommunikation dienen auch nur dazu)

- Semantizität (die Äußerung eines Wortes ist nicht notwendig mit der Anwesenheit des Bezeichneten verbunden)

- Willkürlichkeit (die Verbindung zwischen einer Äußerung und dem, was sie bezeichnet, ist zufällig)

- Diskretheit (einzelne Töhe besitzen für den Hörer eine Identität)

- Ersetzbarkeit (man kann über räumlich oder zeitlich entfernte Dinge sprechen)

- Produktivität (Äußerungen sind möglich. die noch nie geäußert wurden)

- Traditionelle Überlieferung (von einer Generation zur nächsten)

- Dualität der Muster (eine kleine Menge bedeutungsloser Elemente kann durch willkürliche Regeln zu einer sehr viel größeren Menge von übergeordneten Elementen kombiniert werden)

Die Sprachsysteme aller Lebewesen (außer Mensch und Biene) besitzen keine Ersetzbarkeit: sie sind alle in Raum und Zeit an bestimmte Stimuli gebunden. Menschen scheinen auch die einzige Gattung zu sein, deren Kommunikation Dualität der Muster, Überlieferung durch Tradition und Produktivität kennzeichnen.

 

Affen gebrauchen konventionelle Zeichen im Hier und Jetzt und haben damit ihre Fähigkeit zur Abstraktion und zur Symbolbildung bewiesen; als Erkenntnis für uns ergab sich daraus, daß die Abstraktions- und Symbolbildungsfähigkeit notwendige Vorraussetzungen für die menschliche Sprachentwicklung gewesen sind.

Das Kriterium der Metasprache konnte aber bis jetzt bei keiner Tierart erfüllt werden. Die gefühlshafte Tendenz, symbolisch zu sehen, kann bei Affen und bei Menschen durch bestimmte Symbole hervorgerufen werden; aber nur beim Menschen kann diese tendenz durch Laute ausgelöst werden.

 

 

Spracherwerb bei Affen?

HAYES & HAYES versuchten, einem Schimpansen (Vicki) das Sprechen beizubringen. Sie waren dabei aber nicht sehr erfolgreich: er lernte nur wenige Wörter (wie up oder cup) und auch diese nur mit größten Schwierigkeiten. Ein Grund dafür kann darin liegen, daß ein Affe nicht die zur Sprachproduktion geeigneten Voraussetzungen erfüllt (keine geeigneten Stimmbänder etc.).

 

GARDNER & GARDNER versuchten, ihrem Schimpansen Washoe, der in der Familie aufwuchs, die amerikanische Zeichensprache der Taubstummen beizubringen. Der Affe lernte und verwendete 132 Wörter und bildete einfache Sätze. Folgende Merkmale sind bemerkenswert:

- Washoe zeigte deutlich semantische Übergeneralisierung

- Die Zeichenfolgen konnten segmentiert werden (wie bei Kindern, die größere Einheiten planen)

- Es scheint kein Verständnis für die Bedeutung der Wortstellung vorzuliegen

- Es zeigte sich auch kreativer Gebrauch der Sprache.

Der frühe Gebrauch der Sprache war erst holophrasisch und dann im Telegrammstil. Möglicherweise handelt es sich bei den beobachteten Sprachleistungen des Affen aber nicht um echtes Sprachverständnis, sondern nur um subtile Formen des instrumentellen Lernens (nach Art des klugen Hans).

Washoe verwendete ASL auch gegenüber Hunden und Katzen (wie kleine Kinder ja auch zu ihren Puppen sprechen); sie führte sogar öfter Selbstgespräche, wenn sie alleine war.

 

PREMACK brachte einem Schimpansen (im Käfig untergebracht) namens Sarah bei, mittels bestimmter farbiger Plastikplättchen, die sie an eine Tafel heften sollte, zu kommunizieren. Dabei wurde streng nach den Regeln von SKINNER vorgegangen: es erfolgte sukzessive Annäherung und kontingente Verstärkung. Sie konnte Verneinungen bilden, Konzepte klassifizieren, Plural bilden, Quantifikatoren (alle, keiner, einer, mehrere) und logische Verbindungen (wenn ... dann) verwenden etc.

Auch sie lernte über 100 "Wörter". Außerdem lerrnte sie die Grundregeln der Syntax und Logik, indem sie die Bedeutung verstand, die von unterschiedlicher Wortstellung ausgeht. Sarah initiierte aber nie von sich aus Kommunikation.

Hier könnte aber ein Fall des "Ping-Pong-Problems" vorliegen: Skinner grachte Tauben durch Shaping bei, Ping-Pong zu spielen; die Tauben spielten aber nicht richtig, es sah nur so aus.

 

RUMBAUGH, GILL & VonGLASERFELD brachten dem Affen Lana bei, mittels eines Computers zu kommunizieren, indem sie bestimmte Tasten drücken sollte, die sich auf bestimmte Objekte oder Handlungsweisen bezogen. Der Computer kontrollierte den Zugang zu Futter, Wasser, geöffnetem Fenster, usw. Durch die Verwendung eines Computers konnte auch das "kluge-Hans"-Phänomen ausgeschlossen werden. Aber auch Lana initiierte kaum ein Gespräch, nur um etwas zu kommentieren; sie initiierte Gespräche, um etwas zu bekommen.

Der Computer akzeptierte nur grammatisch wohlgeformte Äußerungen. Auch hier zeigte sich zum Beispiel semantische Übergeneralisierung. Ein beachtenswertes Merkmal ist auch, daß Lane selbst nach den Bezeichnungen für Dinge fragte.

 

FOUTS fand, daß Affen, die Zeichensprache gelernt haben, diese auch untereinander verwenden und sie jüngeren Tieren aktiv beizubringen versuchen.

Nach CHOMSKY verfügt ein Sprachbenutzer über eine unbegrenzte Zahl von Klang-Bedeutungs-Korrespondenzen und kann die Tiefen- von der Oberflächenstruktur verbinden. Beides können die hier aufgeführten Affen nicht. Allerdings handelt es sich bei CHOMSKY's Kriterien um abstrakte Merkmale, dioe von Linguisten erdacht wurden; auch geübte Sprachbenutzer können in komplexen verschachtelten Sätzen nicht die Tiefen- und Oberflächenstruktur verbinden.

Nach BROWN sind Semantizität, Produktivität und Ersetzbarkeit (Kommunikation unabhängig von Raum und Zeit) die wesentlichen Merkmale der Sprache, die die kulturelle Evolution ermöglichten. Die hier geschilderten Affen erfüllten alle drei Merkmale!

 

 

Die Biologie der Sprache:

 

Der Artikulationsapparat: Die Gesichtsmuskeln des Menschen sind relativ gesehen größer, spezialisierter und zahlreicher als die anderer Hominiden; dies gilt insbesondere für die Lippen und die Mundwinkel. Außerdem verfügen Menschen über eine sehr mobile Zunge, die vom Boden des Mundes teilweise losgelöst ist. Dies verbessert die Fähigkeit des Menschen zur Artikulation.

Die Lungen, die Luftröhre und der Schädel können zusammen als eine Art Musikinstrument betrachtet werden. Nachdem die Luft aus der Lunge ausgestoßen wurde, kann ihre Energie an verschiedenen Orten verändert werden. Die Position und Struktur der Zähne, Zunge, Epiglottis und der Stimmbänder bestimmen die Qualität und Vielseitigkeit des menschlichen Artikulationsapparats.

 

Neurale Strukturen im Cortex: Offensichtlich artspezifisches Verhalten wie Sprache hat keine eigenen neuroanatomischen Korrelate, sondern scheint eine Neuorganisation von Prozessen überall im ZNS zu beinhalten. Klassischerweise wurden zwei Areale des Cortex für den Gebrauch von Sprache verantwortlich gemacht: Das Brocca'sche Sprachzentrum liegt im Frontallappen und ist für die motorische Kontrolle (also die Produktion) der Sprache zuständig. Das Wernicke'sche Sprachzentrum liegt im temporalen und okzipitalen Lappen; es dient der Wahrnehmung und Decodierung der Sprache. Elektrische Stimulation der Sprachzentern bewirkt oft Äußerung einzelner Sprachstücke (Silben o.ä.) oder interferiert mit gerade ablaufender Sprache; dies ist aber nicht immer der Fall.

Aphasie, der Verlust der Sprache, kann aber auch aus der Zerstörung anderer Gebiete als der Brocca'schen Region resultieren (LENNEBERG). PENFIELD & ROBERTS berichten, daß auch viele Operationen der Wernike'schen Region keine Sprachstörungen bewirkten. Die Lokalisation der Sprache im Cortex ist also nicht sehr deutlich.

Subcortikale Strukturen: PENFIELD hat die Existenz eines Zentrums im Hirnstamm vorgeschlagen, das vom Thalamus aus die Sprache koordiniert; er begründet die mit den zu Thalamuskernen absteigenden Bahnen aus den cortikalen Spracharealen und mit der Tatsache, daß Störungen im Thalamus zu permanenten und schweren Störungen der Sprache führen (Störugen des Cortex sind eher vorübergehend).

 

Lateralisation und kritische Periode: Beim Menschen arbeiten die beiden Gehirnhälften funktionell verschieden. Für Rechtshänder gilt, daß die linke Hemisphäre auf analytische und die rechte Hemisphäre auf holistische Prozesse spezialisiert ist. In jedem Fall gilt, daß die Sprache ein lokalisierbares biologisches Substrat hat (vor allem in der linken Hälfte: Brocca'sche und Wernike'sche Region). Nach LENNEBERG entsteht diese

Linkslateralisation erst allmählich. Der Beginn und das Ende dieser Hirnreifung sollen die Grenzen bilden, innerhalb derer der Spracherwerb biologisch gesteuert erfolgen kann (kritische Periode). Lenneberg geht davon aus, daß beim kleinen Kind noch vollständige Flexibilität besteht; erleiden Neugeborene oder Säuglinge Schädigungen der linken Hemisphäre, so kann sich Sprache normalerweise mit der rechten Hemisphäre entwickeln. Mit fortschreitendem Alter soll die zerebrale Organisation jedoch ihre Flexibilität verlieren und mit Erreichung der Pubertät fixiert und irreversibel sein.

- Starke These: Eine Sprache (gemeinhin als Muttersprache bezeichnet) kann nach der Pubertät nicht mehr im natürlichen Lernkontext erworben werden.

- Schwache These: Ein normaler Spracherwerb ist nach der Pubertät nicht mehr im natürlichen Lernkontext möglich. Beispiel Genie: Gewisse Sprachfertigkeiten wurden erworben, obwohl erst nach der Pubertät damit begonnen wurde.

 

MOLFESE et al. fanden, daß schon bei Säuglingen sprachliche Reize links und nichtsprachliche auditive Reize rechts verarbeitet werden. Dieser systematische Effekt veranlaßte die Autoren zu der Folgerung, daß verschiedene Gehirnzonen offensichtlich vorprogrammiert sind, um zu einem sehr frühen Zeitpunkt, wahrscheinlich schon bei oder vor der Geburt, zwischen bestimmten Reizen zu differenzieren. HÖRMANN wertet dies als Beleg für die Existenz des LAD.

LENNEBERG nahm an, daß nach der kritischen Periode, wie sie durch den oberen Grenzwert der Pubertät erreicht wird, die linke Hemisphäre den Spracherwerb und den Erwerb anderer kognitiver Fähigkeiten nicht mehr kontrollieren kann.

 

 

Fehler beim Erwerb der Sprache und die kritische Periode:

Untersuchungen an sogenannten Wolfskindern zeigten, daß ab einem gewissen Alter kein normaler Spracherwerb mehr möglich ist. Die Sprachentwicklung muß spätestens zum Zeitpunkt der Pubertät begonnen haben. Aber dafür können auch Auswirkungen der ungemütlichen früheren Umwelt solcher Kinder verantwortlich sein.

Bekannt wurde der Fall von Genie: man konnte bei ihr keine neurologische Störung des Gehirns feststellen; deshalb müssen die schweren emotionalen und kognitiven Retardierungen und die völlige Abwesenheit von Sprache auf die extreme soziale, wahrnehmungsmäßige und linguistische Deprivation zurückzuführen sein. Dennoch konnte sie relativ schnell ein (verhältnismäßig) großes Vokabular und einfache Regeln der Syntax beherrschen. Mit manchen Regeln hatte sie aber Probleme: Sie konnte z.B. die unterschiedliche Agent-Objekt-Beziehung in Aktiv- und Passiv-Sätzen nicht unterscheiden. Es scheint also auch relativ spät noch Spracherwerb möglich zu sein, wenn auch kein vollständiger.

Bei Genie konnte durch Hörtests (CURTISS et al) auch festgestellt werden, daß sie Sprache in der rechten Hemisphäre verarbeitet. Man kann deshalb vermuten, daß normale Sprachentwicklung die Lateralisation verursacht: Das Lernen der Sprache in der linken Hemisphäre bewirkt, daß diese Hemisphäre für immer darauf spezialisiert ist und daß deshalb andere Fähigkeiten von der rechten Hemisphäre übernommen werden müssen. Da bei Genie die rechte Hemisphere nun aber schon einige Funktionen übernommen hat, kann die Sprache nicht mehr vollkommen beherrscht werden. Je älter eine Person ist, desto größer ist er Anteil der rechten Hemisphäre, der schon zugewiesen ist und nicht mehr zum Spracherwerb verwendet werden kann.

 

 

 

3. Biologische Grundlagen der Sprache:

 

 

Die biologisch-nativistische Position:

Wenig Variation innerhalb der Art: Es gibt etliche Sprach-Universalien wie die Regeln, mit denen die Tiefenstruktur in die Oberflächenstruktur umgewandelt wird, die grundlegenden Kategorien der Nominal- und Verbal-Phraasen, die Dualität der Muster, die Allgegenwart von Verben und Substantiven oder die Reliabilität in der Verwendung von Subjekt-Verb-Objekt-Beziehungen. Es existieren aber auch allgemeine Konzepte wie Plural oder Besitz.

 

Spezifische organische Korrelate:LENNEBERG meint, daß die Sprachentwicklung eher mit der allgemeinen Entwicklung korreliert als mit bestimmten Lernerfahrungen. Der Spracherwerb findet auch zu einer Zeit statt, in der viele andere kognitive Fähigkeiten noch nicht gelernt werden können.

Es existiert außerdem eine kritische Periode. Die untere Grenze der kritischen Periode wird durch das Fehlen der artikulatorischen Fähigkeiten und vielleicht durch die nichjt abgeschlossene Gehirnentwicklung bestimmt. Die obere Grenze wird durch die Lateralisation des Gehirns gesetzt. Die Lateralisation ist nach Lenneberg erst nach der Pubertät abgeschlossen; vorher ist Plastizität möglich. Deshalb ist Aphasie bei Erwachsenen, die nicht nach krzer Zeit wieder verschwindet, oft irreversibel.

Ein weiterer Beleg ist, daß retardierte Kinder, die am Down-Syndrom leiden, nur bis zur Pubertät Fortschritte in der Sprachentwicklung zeigen.

 

Vererblichkeit: Kinder entwickeln auch unter ungünstigsten Umständen normale Sprache; sogar taube Kinder entwickeln grammatische Fähigkeiten. Kinder, die aus (sprachlich) verarmten Umgebungen entfernt werden, entwickeln schnell normale grammatische Fähigkeiten.

Die Fähigkeit zur Sprache ist also biologisch bestimmt; die Umwelt hilft nur, das biologische Potential auszulösen.

 

Der Säugling kann schon in den ersten Tagen zwischen der menschlichen Stimme und anderen Lautfolgen differenzieren und ist dabei sogar in der Lage, den Unterschied zwischen stimmhaften und stimmlosen Konsonanten wahrzunehmen. Nach CARMICHAEL sind die Rezeptor- und Artikulationsmechanismen der Sprache in ihrer anatomisch-physiologischen Grundlage schon im Augenblick der Geburt funktionsbereit, aber die für das tatsächliche Funktionieren dieser Mechanismen benötigten Gehirnzentren müssen nach der Geburt erst noch einen weiteren Reifungsprozeß durchlaufen.

 

 

Nativistische Annahme CHOMSKY's:

Ein Sprecher kann die Sprache nur erlernen, wenn er aus der Fülle der ihn als Kind umgebenden sprachlichen Äußerungen die Regeln extrahiert hat, nach denen diese Äußerungen gebaut sind. Diese Regeln geben an, wie die Oberflächenstruktur einer Sprache mit der zugrundeliegenden Tiefenstruktur verbunden ist. Das Beherrschen aller dieser Regeln bezeichnet CHOMSKY als Sprachkompetenz; dabei handelt es sich aber um eine ideale Forderung, die in der Realtiät nie anzutreffen sein wird. Das tatsächliche Sprachvermögen ist die Sprachperformanz.

 

Nach CHOMSKY gibt es universelle Prinzipien, die die Formen grammatischer Regelmäßigkeiten in den einzelnen Sprachen bestimmen; diese sollen dem Kind als Spracherwerbsmechanismen angeboren sein. Was biologisch determiniert sein soll, ist ein aus

universellen Strukturprinzipien bestehender Regelapparat, durch den der Grammatikerwerb im Sozialisationsprozeß geleitet bzw. kanalisiert wird. Dieser Regelapparat heißt "LAD" (language acquisition device) und erlaubt dem Kind, aus seinen Erfahrungen mit der Umweltsprache über das Bilden von Hypothesen generelle Regeln zu induzieren und damit die Grammatik für eben diese Sprache aufzubauen; es rückt also die konstruktive Tätigkeit des Kindes in den Vordergrund.

 

Der LAD: Der LAD dient also dazu, aus der gehörten Sprache die Regeln zu extrahieren. Der LAD beginnt mit einer gewissen linguistischen Information, z.B. dem Wissen, daß Sättze aus einer Verbal- und einer Nominal-Phrase bestehen. Außerdem benötigt der LAD eine Menge an Analyse-Prozeduren, die auf die Sätze angewendet werden können. Diese Prozeduren erlaubendie Entdeckung von Transformationen, die die grundlegende linguistische Information mit der gehörten Oberflächenstruktur verbinden. Der LAD muß flexibel genug sein, um alle möglichen Sprachen erlernbar zu machen; in dem Informationsspeicher des LAD darf also keine Information sein, die mit irgendeiner Sprache unverträglich ist. Nach der LAD-Konzeption spricht das Kind auf jeder seiner sprachlichen Entwicklungsstufen durchaus regelhaft, also richtig - nur nicht nach den Regeln der Grammatik der Erwachsenengrammatik, sondern nach den Regeln seiner eigenen "Kindergrammatik". Die Sprachentwicklung findet also relativ unabhängig von der Verstandesentwicklung statt (im gegensatz zur Anschauung PIAGET's). Spracherwerb ist eine Sache der Reifung.

Das Kind erhält natürlich auch Feedback aus seiner Umwelt. Die linguistische erfahrung wird analysiert und neu zusammengestellt; dadurch wird der Zustand des Organismus so geändert, daß er neue Arten von linguistischem Input verarbeiten kann. Er ist also wie eine Entdeckungsprozedur, die sich durch schrittweises Annähern vom Allgemeinen zum Spezifischen entwickelt. Sprache muß also als eine Interaktion zwischen den angeborenen Fähigkeiten des Kindes zum Erwerb regelgeleiteter Sprache und der linguistischen Umwelt, die das für die Analyse nötige Quellenmaterial zur Verfügung stellt, gesehen werden.

 

Erblichkeit des LAD: Der Grund, daß dieser LAD angeboren ist, kann darin gesehen werden (meint HÖRMANN), daß (1) kein Lernmechanismus dafür bekannt ist und daß (2) die kulturellen Unterschiede zwischen den Sprachgemeinschaften zu groß sind, als daß man diese universell verbreitete innere Struktur des LAD aus gleichgerichteten kulturellen Faktoren entstanden denken könnte. Aus dem auf es einströmenden Fluß gehörter Sprache kann das Kind nur deshalb z.B. grammatische Strukturen extrahieren, weil es von vorneherein nur eine begrenzte Anzahl von Möglichkeiten in Betracht zieht. Ein Argument für die nativistische These ist auch, daß die Fähigkeit, eine menschliche Sprache zu erwerben und zu verwenden, nicht davon abhängt, ob der Organismus intelligent ist oder ein großes Gehirn hat, sondern davon, daß es ein menschlicher Organismus ist (LENNEBERG).

Wenn auch die Struktur der Sprache durch die Organisation des menschlichen Geistes bestimmt /also angeboren) ist, so heißt das noch lange nicht, daß diese Struktur sich von alleine entfaltet. Für seine Thesen führt Chomsky vor allem folgende drei Argumente an:

1. Es ist eine biologische Tatsachen, daß alle Organe des Menschen, wie das Herz oder die Leber, in ihrer Struktur festgelegt sind. Warum sollte dann ausgerechnet der Geist als die komplizierteste Organsammlung nicht genetisch determiniert sein?

2. Unbestritten ist weiter, daß Tiere genetische Programme haben, die teilweise sehr spezifisch sind. Warum sollte ausgerechnet der Mensch als der komplizierteste Organismus kein spezifisches genetisches Programm haben? -- um flexibeler zu sein!

3. Ohne ein genetisches Sprachprogramm könnte das Kind keine generellen Regeln aus der Sprach der Umwelt ableiten, weil diese Sprache unsystematisch und fehlerhaft ist. (Gegenargument: Meist stellt sich die Muter in ihren Sprachgewohnheiten auf die Kenntnisse und Informationsbedürfnisse des Kindes ein.)

 

 

Kritik an der biologisch-nativistischen Position:

Logische Probleme: Das Problem mit dem organischen Substrat ist, daß es sich dabei nur um Korrelationen handelt: Die organischen Entwicklungen und die Sprachentwicklung kovariieren. Wir leben alle in der selben Umwelt; alle Handlungen beinhalten Agent-Handlung-Objekt-Beziehungen. Auch Pluralität und Besitz sind Konzepte, die in allen Kulturen auftauchen. Vielleicht ergeben sich die linguistischen Universalien daraus, daß ihre Verwendung in allen Kulturen einen großen Nutzen hat. Ähnlich ist es z.B. mit dem Werkzeuggebrauch: hier handelt es sich sicherlich um erlernte Verhaltensweisen.

 

Neue Daten: KRASHEN konnte durch klinische Daten und dichotische Hörexperimente zeigen, daß die Lateralisation im großen und ganzen bereits mit fünf Jahren abgeschlossen ist. Außerdem fand ZAIDEL bei split-brain-Patienten, daß die rechte Hemisphere auch Sprachfähigkeiten besitzt: Die rechte Hemisphäre enthält das Vokabular eines 14-Jährigen und die syntaktischen Fertigkeiten eines 5-Jährigen.

 

 

Bewegungsrhythmus:

CONDON stellte folgende Hypothese auf: Schon am ersten Tag nach der Geburt reagiert der Säugling auf die menschliche Stimme mit synchronen Bewegungen. Diese angeborene rhythmische Fähigkeit bildet eine Voraussetzung für den Spracherwerb. Ihm ist aufgefallen, daß der Hörer die Äußerungen des Sprechers mit rhythmischen Bewegungen des Kopfes, der Finger, Beine usw. begleite. Sein Schluß daraus: Die aus der Pausengebung und Betonung resultierende Gegliedertheit der Sprache spiegelt sich im nichtsprachlichen Verhalten des Hörers wider. Daraus zog er den Schluß, daß das Kind bei Sprachbeginn über das Einüben der Bewegungsstruktur die Form und Struktur des Sprachsystems schon beherrsche.

 

 

Entstehung von Sprache beim Menschen:

Der früheste symbolische Wert von Wörtern entstammt dem, was gefühlhaft bei ihrer Verwendung anklingt; erst später wird das Symbol aus der Gesamtsituation, der es seine Entstehung verdankt, losgerissen. So wird aus der Konnotation die Denotation, die sachliche Beziehung des Zeichens auf den bezeichneten Gegenstand und damit echte Sprache (LANGER).

 

 

 

4. Umweltbedingte und kognitive Grundlagen der Sprachentwicklung

 

 

Motto: "Das Kind wird als Sprecher in eine Welt von Sprechenden hineingeboren." (LEWIS)

Sprachentwicklung als Sozialisierungsvorgang ist von Grund auf dialogischer Natur. Sprache wird in einem lang anhaltenden Prozeß erworben. Eine wesentliche Frage ist deshalb, welche Formen vorsprachlicher Interaktion zur Sprache gebracht werden.

 

 

Der Einfluß der Umwelt:

Über zweisprachig aufwachsende Kinder liegen noch keine eindeutigen Ergebnisse vor. Gehörlose Kinder nehmen ebenfalls keine Sprache aus ihrer Umgebung wahr, bemerken aber allerlei Zeichen der Kommunikation, die von den Menschen in ihrer Umgebung ausgehen. So gesehen ist ihre Umgebung nicht spracharm; auch sie können ein Gefühl für Symbole entwickeln.

Bei Kindern, die in Heimen aufwachsen, in denen sie wenig individuellen Kontakt mit Erwachsenen haben, di sich ihnen anpassen, zeigen verzögerte Sprachentwicklung.

 

 

Das Stadium der sensumotorischen Intelligenz:

Nach PIAGET erfährt das kleine Kind im Stadium der sensumotorischen Intelligenz durch die miteinander zusammenhängenden Veränderungen von Handlungen und Wahrnehmung, daß es in seiner Beziehung zur Umwelt immer wechselnde Zentrierungen vornehmen und auch wieder aufheben kann und daß dabei der Gegenstand doch konstant bleibt. Das überdauernde Objekt ist ein Schema, das sich als etwas in Raum und Zeit Konsistentes herausbildet. Bestimmte Rollen in einer dynamischen Relation bilden sich als Schema heraus: Aktion-Agent; Aktion-Instrument, ...

FILLMORE faßte dementsprechend Kasus- und Prädikat/Argumentstrukturen als Zentren der sprachlichen Äußerung auf. Sie sind deshalb zentrale sprachliche Strukturen, weil nach ihren Schemata die Weltansicht des Menschen gegliedert wird.

Das Kind lernt also nicht als erstes, Worte zu verstehen, sondern im Duktus seines Gesamtverhaltens wird der Strang des Verbalen allmählich deutlicher.

 

 

Sprache als Fortsetzung des Handelns mit anderen Mitteln:

Nach BLOOMFIELD läuft die einfache S->R-Abfolge, die "sprachlose Reaktion", in einer Person ab; aus ihr wird dann eine sprachliche Reaktion, die zwei Menschen miteinander verbindet, wenn die driekte Handlung der Person (R) durch eine sprachliche ersetzt wird, die eine andere Person zur Reaktion veranlassen soll; diese Reaktion ist "mediated by speech", wie es BLOOMFIELD nennt. Bei ihm ist also der Sprechakt das Verbindungsglied zwischen zwei praktischen Ereignissen, die in vorsprachlicher Zeit unmittelbar benachbarte Glieder der dynamischen Struktur des Gesamtverhaltens waren. Der Sprechakt erlaubt also das Auseinandertreten von bisher Verbundenem; die Sprache entsteht aus dem Gesamtgeschehen.

Die Bedeutung eines Wortes ist die Situation,in der der Sprecher es äußert, und die Responses, die es im Hörer hervorruft (BLOOMFIELD). Das Kind versteht zuerst nicht das, was ein Wort meint, sondern das, was der (erwachsene) Sprecher meint.

 

 

Die Theorie von MacNAMARA:

Weil das Kind im Duktus der Hörer und Sprecher umfassenden Dynamik steht, kann es verstehen, was der (erwachsene) Sprecher meint. Weil das Kind schon weiß, was der Sprecher meint, kann es die Bedeutung dessen erschließen, was er sagt.

Das Kind lernt also nicht, was ein Wort bedeutet, sondern wie eine schon vorhandene Bedeutung, ein Begriff oder Konzept, verbal zu bezeichnen ist.

 

 

Der Faktor Intention:

Die Verankerung des Sprache-Lernens liegt also im Erkennen der Intention des Sprechers. Nach SCHLESINGER besteht die eigentliche Aufgabe des Spracherwerbs darin, die Regeln zu erwerben, nach denen die Intentionsstruktur in die sprachliche Oberflächenstruktur umgewandelt wird. Weil der Duktus der Situation für das Kind schon verständlich ist (aufgrund der Aufgliederung in Agent und Objekt etc. in der vor-sprachlichen Kognition), kann es dieses vorhandene Verständnis zur Entzifferung der sprachlichen Formulierung eben dieses Duktus verwenden.

 

 

Das Gesamtverhalten als Basis des Spracherwerbs:

Gerade in der frühen Kindheit reagiert das Kind nicht auf die Bedeutung der einzelnen Wörter, sondern auf die dynamische Kontur des gesamten Situation. Beispielhaft ist hier, daß das kleinkind von MEUMANN immer auf das Fenster zeigt, wenn es in verschiedenen Sprachen danach gefragt wird.

LURIA stellt fest, daß in einer dynamisch eindeutigen Situation (in der es nur eine Möglichkeit zum Handeln gibt) das Wort bereits seine direktive Rolle spielen kann; liegt aber in der Dynamik der Situation eine Konfliktmöglichkeit, so kann es sich gegen den Sog der Situation noch nicht durchsetzen. Das Wort gewinnt erst allmählich und verhältnismäßig spät seine Selbstständigkeit und schließlich seine Übermacht gegenüber der Gesamtdynamik.

LURIA bringt folgende Beispiele: Eine Münze wird unter eine Tasse gelegt, das Kind hebt die Tasse hoch und ergreift die Münze. Nachdem diese Sequenz viermal wiederholt wurde, legt der Vl die Münze vor den Augen des Kindes unter einen Becher und sagt "Hole die Münze!" Darf das kind sofort danach greifen, so faßen die meisetn Vpn (1;4 bis 1;6 Jahre alt) nach dem Becher. Wird dagegen zwischen Instruktion uund Ausführung eine Pause von 10 Sekunden geschaltet, erweist sich die motorische Gewohnheit als stärker: das Kind greift nach der Tasse.

Wird die Münze, nachdem sie bisher immer unter dem Becher lag, ohne Zusehen des Kindes unter die Tasse gelegt, und sagt der Vl "Die Münze liegt jetzt unter der Tasse", greift das Kind, der Dynamik der Situation folgend, nach dem Becher.

 

Bei der Sprachentwicklung von Zwillingen kann es zu Verzögerungen kommen, weil durch die hohe Parallelität des Verhaltens der Kinder eine zusätzliche Steuerung durch Sprache kaum benötigt wird. Besonders kraß kann diese Verzögerung werden, wenn ein Zwillingspartner als "Außenvertreter" die Beziehung zur Umwelt übernimmt (und dann eine normale Sprachentwicklung durchläuft) und die aus dieser Umwelt kommenden Steuerungssignale dem anderen Partner aus dem Verbalen bereits in Verhaltensdynamik übersetzt. Dieser letztgenannte Partner kann oft einen sehr bedeutenden Rückstand der Sprachentwicklung aufweisen.

 

 

Sprache und Denken:

Anfänglich beobachtet man symbolische Repräsentationen nur in Verhaltensweisen, die auf das eigene Selbst bezogen sind. Später werden sie auch auf andere gerichtet (wenn das Kind eine Puppe füttert). Vor Ende des zweiten Lebensjahres können mehrere solche Handlungen um ein Thema herum kombiniert werden.

Denken besteht aus Begriffen (Konzepten), Repräsentationen und aktiver Manipulation von Information im Geiste einer Person.

 

Piaget's Sicht: Für PIAGET ist die kognitive Entwicklung primär: Sprachentwicklung ist nur eine Manifestation des allgemeinen kognitiven Veränderungen; die kognitive Entwicklung selbst ist von der Sprache relativ unbeeinflußt. Die wichtigste Entwicklung in der Kleinkindzeit ist die des Fähigkeit zu symbolischem Denken: Die Fähigkeit, Symbole willentlich zu manipulieren und so neue Ideen und Gedanken zu schaffen. Die willentliche Manipulation von Symbolen ermöglicht es dem Kind, alles zu sagen, was es sich vorstellen kann. Die ersten Wörter eines Kindes sind noch keine echten Symbole, weil sie sich noch auf Objekte oder Ereignisse im Hier und Jetzt beziehen. Erst wenn Kinder über nicht anwesende Dinge sprechen, verwenden sie Symbole. Die symbolischen Fähigkeiten entstehen aus der sensumotorischen Entwicklung. Die Bedeutung eines Symbols für ein Kind liegt in den Schemata, die es zur Interaktion mit diesem Objekt entwickelt hat. Symbole repräsentieren also nicht die Dinge selbst, sondern das Verständnis des Kindes von den Dingen. Nach der Theorie von CLARK sucht das Kind dan für diese Konzepte ein Wort. Nach PIAGET spricht das Kind bis etwa zum 7. Lebensjahr nicht eigentlich mit einer sozialen, kommunikativen Intention, sondern egozentrisch, weil es noch egozentrisch denkt.

 

Wygotsky's Sicht: Nach WYGOTSKI geht das Wort in die Struktur des Dinges ein und gewinnt so eine gewisse funktionelle Bedeutung (wie der Stock für den Affen). Schreien, Lallen und vielleicht auch die ersten "autistisch" erworbenen Wörter gehören ebenso zu den vorintellektuellen Wurzeln der Sprache wie der soziale Kontakt mit den Personen der Umgebung.

Bis zu einem gewissen Punkt verlaufen die Entwicklung des Denkens und die der Sprache getrennt voneinander; dann, an diesem Punkt treffen sie sich: Das Denken wird sprachlich und die Sprache wird intellektuell (passiert mit etwa 2 Jahren; WYGOTSKY).

Wenn das Handeln des Kindes auf Schwierigkeiten stößt, fängt es an, mit sich selbst zu sprechen. Diese Funktion der Sprache für den Sprechenden selbst entsteht nach WYGOTSKY durch Differenzierung der ursprünglich sozialen Funktion der Sprache für andere. Am Anfang der Entwicklung zur inneren Sprache gleicht die egozentrische Sprache noch ganz der sozialen zur interindividuellen Kommunikation benutzten. Allmählich wird aber eine Tendenz zur Verkürzung deutlich: Es wird an phonetischen und syntaktischen Aufwand gespart. Im Gegensatz dazu entwickelt sich die soziale Sprache zur Kommunikation mit andern; dabei spielen soziolinguistische und pragmatische Aspekte eine wichtige Rolle.

Nach LURIA ist Sprache der Mechanismus zur Internalisierung von Regeln, die das verhalten kontrollieren.

Es existiert eine Problematik bei der Untersuchung des Zusammenhangs von Sprache und Denken: Es gibt keine Möglichkeit, Leistungen des Denkens ohne Sprache sichtbar zu machen. In der Sprache spielt das Bewußtsein eine wichtige Rolle.

 

Bruner's Sicht: Sprache ist für BRUNER der wichtigste Aspekt der symbolischen Repräsentationen eines Kindes, nicht nur eine Manifestation davon. Sprache ist die Quelle alles symbolischen Denkens. Das Verständnis der Bedeutung eines Wortes entwickelt sich zur selben Zeit und durch die selben Prozesse wie das Verständnis des zugrundeliegenden Begriffs, auf den sich das Wort bezieht.

 

Sprache als verbale Vermittlung: Die ersten Wortte sind nur verbale Responses, die für bestimmte Stimuli gelernt wurden. Die gesprochenen Wörter selbst können als Stimuli dienen, für die andere Responses gelernt werden können, unter anderem auch ander verbale Responses. Das Kind lernt immer mehr, die Sprache abzukürzen und zu verinnerlichen. Die Sprache stellt also verbal mediators (sprachliche Vermittler) zwischen Stimuli und Responses zur Verfügung, die einen Stimulus mit einem äußeren Responsee verbinden, indem sie eine Kette von internalen, verdeckten Responses aufstellen (eine Reihe von inneren Assoziationen).

 

 

Die Rolle des Bewußtseins bei der Begriffsbildung:

Das Streben nach Wissen zielt auf Sprache, das Haben von Wissen erfordert Sprache, das Hereinnehmen von Wissen dient als Reinforcement beim Erlernen von Sprache und Bedeutung. Die Frage lautet jetzt: Abwelchem Punkt wird die Rolle das Bewußtseins deutlich? LEWIS teilt die Sprachentwicklung in drei Phasen ein:

- bis 4 Monate: das Kind reagiert auf menschliche Lautäußerungen ebenfalls mit Lautäußerungen.

- bis 8 oder 9 Monate. Pause oder Nachlassen das Lallens. Hier achtet das Kind darauf, in welcher Situation das Lautereignis stattfindet.

- älter als 9 Monate: verstärkte Intensität, Häufigkeit und Genauigkeit des Lallens.

In der zweiten Phase wird der Faktor Bewußtsein wirksam: Das Kind begreift die Sprache. Hier beginnt die Symbolfunktion der Sprache.

Die ursprünglichen Lautäußerungen des Kindes sind immer Teil des kindlichen Gesamtverhaltens; diese Mischung aus affektiven und conativen (strebungshaften) Vorgängen nennt LEWIS orektisch. Das aufdämmernde Symbolbewußtsein, welches aus diesen orektisch entstehenden Lautäußerungen Sprache macht, setzt ein, als eine Fermate der Aufmerksamkeit, die einen flüchtigen Augenblick des Geschehensstromes für kirze Zeit verweilen läßt.

Dem Faktor Bewußtsein fällt die Rolle zu, Konstanzen in die Flucht der Laute und Ereignisse hineinzutragen. Die vom Erwachsenen gesprochene und vom Kind gehörte Lautkombination ist zunächst Teil der Gesamtsituation. Mit dem, was an der Situation gleich bleibt, bleibt auch der Lautkomplex. Die Erkenntnis der Zusammengehörigkeit eines konstanten Lautkomplexes mit einem konstanten Aspekt der Situation liegt als ursprüngliches Bedeutungserlebnis der Sprache zugrunde. Bedeutung ist also Kenntnisnahme einer Konstantisierung.

Die Ähnlichkeiten liegen dabei nicht nur in den Ereignissen, aus denen sie das Individuum abstrahiert, sondern sie liegen auch im Individuum und werden von diesem an die Ereignisse herangetragen. Nach STERN macht das Kind im Alter zwischen 1;6 und 2;0 die wichtigste Entdeckung seines Lebens: Alles hat einen Namen.

 

 

Die Grammatik der Handlung:

GREENFIELD konnte zeigen, daß Kinder beim Spielen immer bestimmte, gleiche Strategien verwenden, die alters- oder entwicklungsabhängig sind; sie folgen diesen Regeln, obwohl es nicht nötig ist. Diese Spielstrategien entsprechen formal verschiedenen Satzformen, die in der gleichen Reihenfolgen später von dem Kind produziert werden.

Präsyntaktische Strukturen durchziehen und ordnen also bereits das vorsprachliche Handeln des Kindes. Das Kind läßt sich in seinem Handeln auch dort von Regeln leiten, wo es nicht notwendig ist.

 

 

 

5. Phasen der Sprachentwicklung:

 

 

Tabellarische Zusammenstellung der Phasen der Sprachentwicklung:

 

Die vorsprachliche Periode (Geburt bis 6 Monate): Das Kind produziert Laute wie Grunzen, Weinen, Schreien, Seufzen, Lachen und Gurren.

Die Lall-Phase (6 - 9 Monate): Das Kind produziert Einheiten von Äußerungen, die Lallen genannt werden, die sich je nach Situation unterscheiden. Diese Einheiten beginnen, den Äußerungen der Erwachsenen akustisch ähnlich zu werden, weil das Kind sich von irrelevanten Phonemen trennt (nicht weil es neue Phoneme dazulernt).

Die Jargon-Phase (9 Monate): Betonungsmuster und Sprachmelodie in längeren Äußerungen entsprechen klar denen der Erwachsenen. Einige imitationen von allgemeinen sprachähnlichen Mustern lassen sich identifizieren. Einzelne Morpheme lassen sich von einem Zuhörer schwer identifizieren.

Die Nachlall-Periode (9 Monate bis 1 Jahr): Diese Zeit ist durch Imitation von Kländen der Erwachsenensprache gekennzeichnet.

Das Ein-Wort-Stadium (1 Jahr bis 2 Jahre): Das Kind verwendet einzelne Wörter, um ganze Phrasen oder Sätze auszudrücken; die Wörter werden in ihrer Bedeutung von den Erwachsenen aufgrund des Kontextes verstanden. Das Kind versteht viel von dem, was es hört; dies zeigt sich darin, daß es entsprechende Aufforderungen ausführt. Gegen Ende dieser Periode wächst der Wortschatz sprunghaft an: von etwa 20 Wörtern mit 18 Monaten auf etwa 200 Wörter mit 21 Monaten.

Der Spurt in der Wort-Entwicklung (2 Jahre): Der Wortschatz wächst von etwa 300 Wörtern mit 24 Monaten auf 1000 Wörter mit 36 Monaten an. Zwei- und Dreiwort-Sätze werden gebildet (nach eigenen Regeln, die nicht der Erwachsenensprache abgschaut sind). Die Intonation eines Wortes variiert: deklarativ, emphatisch und interrogativ.

Die Satzperiode (3 Jahre): Zu dieser Zeit verwendet das Kind Sätze, die die grammatischen Merkmale der Erwachsenensprache enthalten. Das Kind kann funktional komplette aber grammatisch lückenhafte Sätze verwenden.

3 - 5 Jahre: Das Kind verwendet Sätze jeder Art: unverständliche; funktional komplette aber grammatisch lückenhafte Sätze; einfache; verbundene; komplexe; verbundene und komplexe.

5 Jahre bis Erwachsenenalter: Der Wortschatz wächst weiter an; die länge, Komplexität und Verschiedenheit der verwendete Sätze steigen.

 

 

Vorsprachliche Phase:

Das Weinen durchläuft folgende Stufen: Im ersten Monat ist das Weinen noch recht undifferenziert. Das Baby weint oft und das selbe Weinen wird in einer Reihe verschiedener unangenehmer Situationen verwendet. Während des zweiten Monats differenziert sich das Weinen nach dem Grund (nasse Windeln, Hunger, Bauchweh, ...)

Die Entwicklung der vorsprachllichen Lautäußerungen verläuft in allen Sprachen der Welt etwa gleich. Sie beginnt damit, daß ein kleiner Säugling mit Bewegungen darauf reagiert, wenn man ihn anspricht; es sind Bewegungen, die er nicht ausführt, wenn er Ticken oder Klopfen hört. Einige Wochen nach der Geburt (etwa 3) beginnt das Kind zu vokalisieren. Mit zwei bis drei Monaten beginnt das Kind zu schnalzen; es werden auch Laute produziert, die in der Muttersprache nicht vorkommen (also wohl kaum nachgeahmt werden können). Nach etwa drei Monaten nehmen die Vokalisationen wieder ab. Zwischen dem siebten und zehnten Monat verlieren sich die Laute, die in der Muttersprache nicht vorkommen; scheinbar wird das Kind bezüglich der Aspekte der auditorischen Umwelt selektiv.. Hier wird die Rolle der Imitierung deutlich: Laut WEIR werden nun auch Intonation und Melodie der Muttersprache nachgeahmt. Um den ersten Geburtstag herum "erzählt" das Kind Geschichten mit unverständlichen Wörtern, aber im Tonfall der Muttersprache; dies nennt SCHAERLAEKENS das angepaßte oder soziale Lallen.

Diese Phase umfaßt die Zeit von der Geburt bis zu der Produktion erster konventioneller Sprachsymbole. Die Mutter schafft über den Dialog, den sie zunächst alleine aufrechterhalten muß, eine gemeinsame Erfahrungswelt: indem sie das Verhalten des Säuglings interpretiert und diesem Bedeutungen zuweist, bringt sie den Säugling allmählich dazu, selbst solche Konzepte und Regeln zu erlernen, die die Basis für den Spracherwerb bilden.

--> Zuerst muß das Kind Kontrolle über den Sprachapparat erlangen - Mund, Lippen, Zunge und Stimmbänder -, um willentlich die entsprechenden Klänge produzieren zu können. DAnn müssen die Kinder die Phoneme ihrer Sprache lernen. Nur wenn sie die Phoneme klar erkennen können, können sie erlernen, die Bedeutung von Wörtern zu erkennen und selbst solche Laute zu Wörtern zu kombinieren.

Die Gesten und Lautäußerungen der Kleinkinder haben also bereits eine kommunikative Funktion; HALLIDAY spricht in diesem Zusammenhang von protolanguage.

 

Einübung interaktiver Grundmuster: BRUNER geht davon aus, daß die Sprache eine spezialisierte und konventionalisierte Erweiterung kooperativen Handelns ist. Sprachliche Symbole werden nicht als leere Hülsen gelernt: Konzeptuelle Unterscheidungen werden schrittweise mit Wörtern uund Wortverbindungen unterlegt. Die fundamentalen Konzepte über interpersonale Aufmerksamkeits- und Handlungsstrukturen sind notwendige Voraussetzungen für das Erfassen sprachlicher Regeln.

Bezüglich der Vorläufer sprachlicher Formen ist es so, daß die Mutter sich ihrem Kind gegenüber weniger korrigierend als vielmehr interpretierend verhält; dabei neigt sie häufig dazu, das Verhalten des Kindes, insbesondere dessen mimischen und lautlichen Ausdruck, nachzuahmen ("biologischer Spiegel"). Die von der Mutter inszenierten standardisierten Spiele helfen dem Kind nicht nur, die Intentionen, Gesten und Vokalisationen der Mutter zu verstehen, sondern sie bringen es auch dazu, selbst seinen Intentionen Ausdruck zu verleihen.

BRUNER beschreibt fünf Prozesse, in denen das vorsprachliche Kind von der Mutter auf den Spracherwerb vorbereitet wird:

- Im ersten Prozeß lernt das Kind, in der Handlungsfolge den Handelnden vom Objekt der Handlung zu unterscheiden, womit die grammatische Subjekt-Prädikat-Unterscheidung vorbereitet wird.

- Der zweite Prozeß besteht aus dem primitiven Zyklus der Aufmerksamkeitslenkung (Vorbereitung der regulatorischen Funktion der Sprache).

- Der dritte Prozeß baut auf dem zweiten auf: Wenn sich die Mutter der ungeteilten Aufmerksamkeit des Kindes sicher ist, spricht sie über das Objekt und/oder führt mit diesem Handlungen aus.

- Der vierte Prozeß ist der letzte, durch den die ersten Anfänge des Sprachgebrauchs erklärt werden sollen: Das Kind lernt, Fragen und Aufforderungen der Mutter am Tonfall zu unterscheiden.

- Beim fünften Prozeß, der den anderen übergeordnet ist, steht das gemeinsame Spiel im engeren Sinne im Vordergrund. Über die Regeln im Spiel wird das Kind überhaupt erst für kulturelle Regeln sensitiviert.

 

Wahrnehmung und Produktion von Sprachlauten: Mit den beiden variablen Komponenten der Artikulation und der Intonation modelliert das Kind seinen Ausdruck. Das Inhaltssystem besteht dabei aus einer Art Repräsentation, die noch wenig oder nichts mit den Wörtern der Erwachsenensprache zu tun hat. Hierbei unterscheidet HALLIDAY vier Funktionen:

- instrumentelle oder "Ich will"-Funktion,

- regulatorische oder "Tu wie ich dir sage"-Funktion,

- interaktionale oder "Ich und du"-Funktion,

- personale oder "Hier komme ich"-Funktion.

Am Beginn der Sprache stehen also der Imperativ und affektive Äußerungen.

 

 

Phasen der Spracheinführung / Ein-Wort-Sätze:

Etwa im Alter von einem Jahr werden die ersten Wörter verwendet, die einen klaren Bezug auf einen emotionalen Zustand oder auf ein Objekt haben. Erstmals werden Wörter zur Kommunikation verwendet. Die ersten Nomina und Adjektive werden gewöhnlich als Kommentar bezüglich eines Aspekts der Umwelt verwendet. Einzelne Wörter werden dazu eingesetzt, ganze Inhalte zu kommunizieren, für die erwachsenen eine größere Phrase verwenden würden. Daher auch die Bezeichnung Holophrase. Die Inbterpretation erfolgt mit Hilfe des Kontextes. Die ersten Worte eines Kindes beziehen sich gewöhnlich auf

- bekannte Personen,

- Körperteile,

- Tiere,

- Kleidung oder Beschuhung,

- Geräte,

- Affekte,

- Bewegungen und

- soziale Kommandos.

Kinder unterscheiden sich darin, wieviele Wörter sie verwenden, um sich auf Objekte und Ereignisse zu beziehen. Diese Differenzen hängen mit anderen Aspekten ihrer sozialen und kognitiven Entwicklung zusammen (NELSON). "Expressive" Kinder sind oft zweit-geboren und aus weniger gebildeten Familien als referentiele Kinder, die Wörter schneller lernen.

 

Anfangs paßt sich die Mutter in ihrer Sprachverwendung noch ganz dem Kind an (Baby-Talk). Es besteht die Annahme, daß sich die ersten Wörter mit ihren Bedeutungen genau auf das Handeln der Betreuungs- und Pflegepersonen in Bedürfnissituationen beziehen. Zwischen 12 und 18 Monaten erwerben Kinder eine ganze Anzahl von Wörtern. Diese werden holophrasisch gebraucht ("Einwort-Satz"). Folgende Relationen lassen sich unterscheiden:

- Vokativ (Kind will etwas),

- Objekt des Wollens (Kind greift danach),

- Handlung einer anderen Person (Kommentar),

- unbelebtes Handlungsobjekt (Benennung),

- Handlung eines unbelebten Objekts ("fort"),

- Handlungsempfänger und

- Handlungsagent.

Die einzelnen Wörter sind mit Handlungen und Gesten verbunden; diese Eingebundenheit macht gerade ihre Bedeutung aus. Die konkrete Situation wird als Mit-Träger der Bedeutung gebraucht. Die Worte dienen noch zur Präzisierung der Bedeutung des Gesamtereignisses.

Handlungsspiele, die das Kind schon beherrscht, werden schrittweise zu Sprachspielen. Der erste Schritt besteht in einer Versprachlichung einer Komponente des Handlungsspiels, das noch primär bedeutungstragend ist. Im Laufe der weiteren Entwicklung wird dann das Handeln zunehmend durch Sprechen ersetzt. In den Einwort-Sätzen hat die Bedeutungsvermittlung vorwiegend affektiven (expressiven) und regulatorischen Charakter.

 

 

Aufbau des sprachlichen Systems:

Am Anfang der Zwei-Wort-Stufe werden durch die zwei Wörter noch zwei unterschiedliche Ideen ausgedrückt. Es handelt sich hierbei um einen Übergang von der holophrasischen Stufe.

Zwei- und Dreiwort-Sätze: Der Übergang zwischen dem Einwort- und dem Mehrwortstadium ist fließend. Nach BLOOM gilt, daß das Kind zunächst zwei Einwort-Sätze aneinanderreiht; diese sind durch eine längere Pause getrennt und weisen nicht die typische Satzmelodie auf. SCHAERLAEKENS gibt als durchschnittliches Lebensalter für das Auftreten von Zwei-Wort-Sätzen 18 Monate an. Mädchen scheinen eine schnellere Sprachentwicklung zu durchlaufen als Jungen.

Nach SCHAERLAEKENS kommen hauptsächlich folgende vier Bedeutungsverbindungen vor: Dauerhaftigkeit (zwei Dinge werden als zusammengehörig betrachtet), Zufälligkeit (das, was ein Kind zufällig bewegt), Hinweisen (auf etwas aufmerksam machen) und wiederholendes Bejahen oder Verneinen. Es werden noch keine Artikel, Konjunktionen oder Präpositionen verwendet. Auch die meisten Hilfsverben werden ignoriert.

Im dritten Lebensjahr werden die Sätze länger. Nach SLOBIN wird das Wort hinzugefügt, das in Gedanken schon dazugehört. BROWN betrachtet die Drei-Wort-Sätze eher als Kombination von Zwei-Wort-Sätzen, die ein Kind sprechen könnte.

 

Pivot-Grammatiken: Nach BRAINE kann man zwei Wortklassen abgrenzen: Die Pivot-Wörter kommen in verschiedenen Positionen vor, meist in Position 1 (Ausnahme do kommt an Position 2); es handelt sich dabei um Angelwörter wie Artikel, Demonstrativ- und Possesivpronomina und Adjektive, die oft vorkommen. Es scheint so, als würden diese Wörter den Kindern als Verankerung für das folgende Wort dienen. Ein Pivot-Wort kann nicht alleine stehen. Die x-Wörter sind eine große offene Kategorie, die den ganzen Rest des kindlichen Wortschatzes umfaßt und in die die meisten neuen Wörter fallen; dabei handelt es sich um Wörter, die selbstständig stehen können (meist Substantive).

So läßt sich die Syntax angeben, welche die Organissation beschreibt, in welche diese Satzglieder geordnet werden:

P1 + x

x + P2

Mittels dieser zwei Regeln läßt sich vorhersagen, welche Sätze gebildet werden und welche nicht. Pivot-Grammatiken beschreiben also die allgemeine Struktur, nach der das betreffende Kind seine sprachlichen Äußerungen bildet. Nach BRAINE geschieht dies mittels Lernen: "Wenn ein Individuum Sätze gehört hat, in denen ein Segment in einer bestimmten Position und einem bestimmten Kontext vorkommt, so wird es später die Tendenz haben, dieses Segment in einem anderen Kontext wieder in die gleiche Position zu setzen; der Kontext des Segments hat dann generalisiert."

BLOOM bezweifelt, daß Pivot-Wörter nicht alleine vorkommen können und daß sie immer an der ersten Stelle stehen müssen.

Als BRAINE Kinder einfache künstliche Sprachen lernen ließ, zeigte sich, daß dabei gelernt wird, eine Spracheinheit innerhalb einer größeren Einheit zu lokalisieren. Einheitsbildung findet also auf verschiedenen Ebenen statt, so daß sich eine Hierarchie von Einheiten ergibt.

Die aus einem Inhaltswort und einem oder zwei Pivot-Wörtern bestehende Primärphrase ist eine für den Verlauf der Sprachentwicklung sehr charakteristische Erscheinung. In der frühen Zwei-Wort-Phase kann die Grammatik des Kindes durch folgende Regel angegeben werden: Nimm als erstes ein Pivot Wort und füge danach ein Wort aus der Klasse der Inhaltswörter hinzu. Die hier verwendete Klassifizierung des Wortschatzes (Pivot/Inhaltswort)ändert sich bis zur Erwachsenensprache. Bei Dreiwortäußerungen hat der Artikel üblicherweise die erste Position inne, andere Modifikatoren treten zwischen ihn und das Substantiv.

 

Strukturelle Bedeutung: Die Phrasen können auch aufgrund der funktionalen Wichtigkeit der Wörter beschrieben werden; "Mommy sock" kann sich auf das Besitzverhältnis beziehen oder auf eine Handlung (Mutter zieht Kind Socken an).

 

Das Nachsprechen des Kindes (BROWN): Wenn ein Kind seiner Mutter etwas nachspricht, geht es dabei normalerweise folgendermaßen vor: Die Reihenfolge der Wörter bleibt gleich; auf diese Weise wird die in grammatisch richtigen Sätzen gültige Reihenfolge gesichert. Nur kurze Sätze werden vollständig nachgesprochen, bei Sätzen, die länger als 3 oder 4 Morpheme sind, kommt es zu systematischen Auslassungen (Telegrammstil, s.u.). Die Anwendung des Telegrammstils ist für das Kind relativ leicht, da es sich nur darauf beschränken muß, die besonders betonten Wörter nachzusprechen, denn dies sind die Inhaltswörter.

Nicht nur das Kind spricht die Sätze der Mutter nach, sondern die Mutter spricht auch die Sätze des Kindes nach (siehe Rolle der Mutter).

Nach WHITEHURST & VASTA lassen sich folgende Regelmäßigkeiten finden:

1) Wenn Nachsprechen explizit verlangt wird, können Sätze gesprochen werden, die grammatisch komplexer sind als die spontan gesprochenen; es gibt aber keine Evidenz, daß nachgesprochene Sätze fortgeschrittener sind, wenn sie spontan auftreten.

2) Imitationen in der Form von unmittelbaren exakten Lopien der Sprache der Erwachsenen treten nicht auf.

3) Klinische Evidenz deutet darauf hin, daß Kinder auf die syntaktischen Merkmale der Sprache geeignet reagieren können, ohne jemals eine Sprache gesprochen zu haben (also ohne vorheriges Imitieren).

4) Die meisten Äußerungen der Kinder können nicht von der erwachsenen Sprache Kopiert sein, auch wenn die meiste Sprache der Kinder, auch wenn sie neu ist, in Begriffen der Grammatik der Sprache der Erwachsenen beschreibbar ist.

 

Telegraphische Sprache: Die Kinder lassen bei ihren Wortkombinationen bestimmte Satzelemente aus. Vorwiegend sind dies Artikel, Hilfsverben, Ableitungs- und Flexionsmorpheme sowie Funktionswörter wie Konjunktionen und Präpositionen, die in der Erwachsenensprache einen Satz "zusammenhalten". Die Äußerungen der Kinder lassen sich deshalb nur vor dem Hintergrund der Gesamtsituation eindeutig interpretieren. Solche Interpretationen nimmt die Mutter ständig vor. Dabei überprüft sie, ob sie das Gesagte auch richtig verstanden hat, häufig in der Weise, daß sie die Äußerungen des Kindes in grammatisch vollständiger Form wiederholt und Protest erwartet, wenn sie sich geirrt hat.

Die Ursache für solche Verkürzungen dürfte in der Begrenzung der Länge von Äußerungen liegen, die das Kind im vorau planen kann. Die Brgrenztheit der Planungskapazität zwingt das Kind, Wörter wegzulassen.

 

Die Mutter als Sprachlehrende: Die Mutter verwendet die sogenannte Ammensprache (baby talk) und paßt sich ganz den Anforderungen des Kindes an (GLEASON). Diese Sprache stellt ein vereinfachtes und besonderes Register dar, das höchstwahrscheinlich universeller Natur ist. Das Register wird dem Entwicklungsstand des Kindes entsprechend verändert. Dies Art zu sprechen scheint für die Sprachentwicklung des Kindes förderlich zu sein. Am wichtigsten scheine die Anpassungen zu sein, die es dem Kind ermöglichen, aktiv an der Konversation teilzunehmen. Das Phänomen des Baby-Talk läßt sich in allen Sprachen und Kulturen beobachten. Kinder ab dem dritten oder vierten Lebensjahr gebrauchen selbst spontan die Baby-Sprache, wenn sie mit Babys reden. Manche Merkmale der Baby-Sprache werden auch gegenüber Haustieren oder bei Verliebten verwendet. Nach FERGUSON zeigen sich vor allem folgende Merkmale:

- Ersetzung schwieriger Laute durch einfachere,

- Hervorhebung neuer Information durch Betonung,

- Übertreibung der Intonationskontur von Äußerungen,

- Tonhöhe beim Sprechen ist insgesamt höher,

- Ersetzung von Pronomen der ersten und zweiten Person durch Eigennamen,

- Verwendung von Diminuitiven,

- längere Pausen an Phrasen- und Satzgrenzen,

- kurze und grammatisch korrekte Sätze,

- Wiederholung von Wörtern und Satzteilen,

- begrenzter kindgemäßer Wortschatz,

- Durchführung ritualisierter Sprachspiele.

Dadurch, daß das Kind erfährt, daß zu ihm anders gesprochen wird als z.B. zu den Eltern und wieder anders als zu Geschwistern, lernt es auch, eine erste Abgrenzung sozialer Rollen vorzunehmen.

Väter verwenden eine etwas andere Form des Baby-Talk: sie fragen öfter nach Bezeichnungen und Erklärungen, nach Wiederholungen und Klarstellungen. Sie leisten also einen eigenen Beitrag zur Sprachentwicklung des Kindes.

Interessanterweise bringen Erwachsenen keinen richtigen Baby-Talk zustande, wen keine kleinen Kinde anwesend sind oder wen die Kinder noch zu jung sind, um verbal zu reagieren. Es scheint also so, daß etwas an den Kindern und ihren Reaktionen auf die Sprache den Baby-Talk auslöst (PHILLIPS).

Dem in seiner sprachlichen Entwicklung schon etwas fortgeschrittenen Kind gegenüber nimmt seine Mutter dann bewußt die Rolle des Sprachlehrenden ein. Nicht nur das Kind spricht die Sätze der Mutter nach, sondern die Mutter spricht auch die Sätze des Kindes nach. Bei der Expansion als selektiv korrigierender Strategie nimmt die Mutter die grammatisch unvollständige Äußerung des Kindes auf, verändert diese aber inhaltlich nicht, sondern fügt allein die fehlende grammatische Information hinzu; die Reihenfolge wird beibehalten. In der Erweiterung werden Aspekte encodiert, welche das Kind noch nicht encodiert, sondern noch der bedeutungstragenden Situation überläßt. Durch die Expansion lehrt die Mutter nicht nur eine Grammatik, sondern auch eine Weltsicht. NELSON stellte fest, daß Reformulierungen Kinder tatsächlich dazu bringen, die angebotenen Satzmuster schneller zu erwerben.

Es scheint eine schwache Beziehung zwischen der Geschwindigkeit des Spracherwerbs und der Verwendung von Motherese zu bestehen (NEWPORT, GLEITMAN & GLEITMAN).

BETTES ffand heraus, daß leicht depressive Mütter bei dem Baby-Talk weniger stark betonten, tiefer sprachen und länger brauchten, um auf die Äußerungen des Kindes zu reagieren.

Die Wortordnung ist das erste grammatische Merkmal, das die Kinder so lernen. Erste wichtige Regeln sind dabei, daß Verben am Satzende stehen oder daß das Subjekt vor dem Objekt kommt.

Kleine Kinder neigen häufig zu Wiederholungen, weil sie Spaß am Sprechen haben, wenn sie ein passendes Wort suchen (replacement sequence), oder wenn sie durch Nachstellung etwas exakter bestimmen wollen.

 

Darstellungsfunktion: Die Kinder können nun zusätzlich zu den Relationen der Einwort-Phase noch weiteren Bedeutungen der Lokation, der Negation, des Hinweises, des Besitzes, des Wiederauftretens und der Attribution Ausdruck verleihen. Sie vermögen also jetzt etwas über die Dinge auszusagen. Zur expressiven und regulatorischen Sprechhandlung ist die konstative getreten. Die Sprache hat die Qualität der Kognitivität erhalten.

Etwa um das zweite Lebensjahr fallen die Entwicklungslinien des Denkens und des Sprechens zusammen; nun beginnt das Kind nach den Bezeichnungen neuer Dinge zu fragen, der Wortschatz erweitert sich sprunghaft. Das Kind bezieht sich nun auch auf Vergangenes.

 

 

Spätere Sprachentwicklung:

Typische Probleme der weiteren Sprachentwicklung betreffen phonologische Verfeinerungen und weiteres syntaktisches Lernen. Beispiele dafür sind das Verstehen der Subjekt-Verb-Übereinstimmung, die Eliminierung doppelter Verneinungen oder die Fall-Endigungen bei Personalpronomina.

CHOMSKY untersuchte das Lernen von Ausnahmen bei dem Minimum Distance Prinzip (MDP); es behauptet, daß das Nomen, das am nächsten beim Verb steht, das Subjekt ist. Dieses Prinzip wird z.B. bei Sätzen verletzt, in denen etwas versprochen wird.

Auch Sätze, in denen das wirkliche Subjekt nicht explizit genannt wird, sind für Kinder schwer zu verstehen ("At night, a black cat is hard to see"; wer sieht die Katze?). Bei seinen Untersuchungen verwendete er eine Puppe, der er die Augen verband; er stellte dann die Frage: Is the doll easy to see or hard to see? Erst nach dem Alter von 7 Jahren waren die Antworten überzufällig oft richtig.

 

 

 

6. Wichtige Fortschritte der Sprachfähigkeit

 

 

Der Verlauf der Sprachentwicklung allgemein:

Allgemein gesehen kann man die Sprachentwicklung als einen Prozeß der fortschreitenden Differenzierung oder Verfeinderung betrachten. Auch wenn sich das Sprachverhalten in den aufeinanderfolgenden Entwicklungsstufen immer mehr der Sprache der Erwachsenen annähert, ist doch jede Stufe für sich komplett und analysierbar; jede Stufe folgt ihren eigenen grammatischen, semantischen und phonologischen Regeln.

 

Die weitere Entwicklung der Sprachfähigkeit findet in zwei Richtungen statt: Die Grammatik wird zunehmend ausgebaut; je vollständiger dieser Ausbau ist, desto kontextunabhängiger ist das Verstehen und Erzeugen von Sprache. Die zweite Grundlinie betrifft die Elaboration kontextspezifischer Formen sprachlichen Handelns. Damit ist die Tatsache erfaßt, daß wir nicht nur lernen, daß jedes Ding einen Namen hat, sondern auch, daß jedes Ding viele Namen haben kann.

 

 

Strategien beim Spracherwerb:

Um die Relation zwischen dem, was der Sprecher sagt, und dem, was er meint, zu erkennen, operiert das kleine Kind mit folgenden Strategien (BEVER):

- Fasse das als zusammengehörend auf, was nicht durch Pausen getrennt ist.

- Achte auf das Betonte.

- Achte auf die Reihenfolge.

- Kombiniere die einzelnen Wörter so, wie es ihrem Inhalt nach am wahrscheinlichsten Sinn ergibt.

Aus der Bedeutung der Wörter wird also ohne Rekurs auf die in der Syntax gegebenen kombinationsanweisungen eine Satzinformation konstruiert, die vermutlich mit der übereinstimmt, welche der erwachsene Sprecher gemeint hat.

--> Das Kind lernt, Sprache zu verwenden, weil es auch dort Regeln anzuwenden versucht, wo dies nicht erforderlich ist.

 

 

Phonologische Entwicklung:

Erstaunlich ist, daß Kinder in der Brabbel-Periode ein r sprechen können, es dann aber später, wenn die ersten Wörter auftreten, nicht mehr beherrscht.

Nach JACOBSON werden alle Laute nach dem gleichen Schema gebildet: Immer in Gegensatzpaaren, mit oder ohne Schwingungen der Stimmbänder, nasal oder nicht, vorne oder hinten im Mund, als Reiblaut oder explosiv. Beim Brabbeln wird dabei eine bestimmte Reihenfolge eingehalten: Ein Konsonant ruft die Formung eines ihm entgegengesetzten Konsonanten hervor. Dieses Muster findet sich nach JACOBSON überall in der Welt.

LENNEBERG betont die Verbindung zwischen motorischeer und sprachlicher Entwicklung: Das Hervorbringen von Sprachlauten ist eine Frage der Muskelbeherrschung.

SCHAERLAEKENS weist darauf hin, daß Schwierigkeiten bei der Bildung eines bestimmten Sprachlauts in verschiedenen Sprachen verschiedene Folgen haben kann (z.B. wird ein lispelndes niederländisches Kind weniger Probleme haben als ein lispelndes englisches Kind).

 

Kinder verstehen schon dann Wörter richtig, wenn sie sie selbst noch nicht richtig produzieren können (Fis-Phänomen). Mit drei Jahren scheinen ihre mentalen Wortrepräsentationen so ziemlich den Erwachsenenformen zu entsprechen und vermögen damit eine wichtige Modellfunktion für die Wort-Aussprache zu erfüllen. Bis es aber so weit ist, nehmen Kinder häufig folgende Simpilfikationen bei der Aussprache vor:

- Segmente am Wortende werden weggelassen.

- Konsonantencluster werden reduziert.

- Unbetonte Silben werden ausgelassen.

- Bei zweisilbigen Wörtern wird nur eine Silbe beibehalten und verdoppelt.

Wahrscheinlich werden diese Vereinfachungen wegen der begrenzten Artikulationsfähigkeit vorgenommen.

 

 

Erwerb grammatischer Morpheme:

Der Erwerb grammatischer Morpheme findet nicht für jeders Wort einzeln statt; hier hat man also den Beleg, daß Regeln gelernt werden. Dies ist auch die Grundlage für die Produktivität der Sprache: Weil in der Sprache Morpheme nach allgemeinen Regeln kombiniert werden, kann auch ein unbekanntes Wort in seiner Bedeutung so modifiziert werden, daß es andere verstehen.

Konjugieren und Deklinieren tritt erst bei Drei- oder Mehrwortsätzen auf. Ein Wort ändert seine Form nach dem Verhältnis, in dem es zu den anderen Wörtern eines satzes steht. Nach DALE ist die Mehrzahl die erste neue Form, die das Kind beherrschen lernt (anfängliche Einteilung: eins - zwei - viele - alle). Nach SCHAERLAEKENS sind auch Deminutive früh festzustellen: Ihr Gebrauch tritt plötzlich auf und wird dan überall ausprobiert, wo e sgeht. Bei den Verben wird die Vergangenheitsform vor der Zukunftsform gelernt.

Nachdem die Kinder unregelmäßige Verben zunächst richtig konjugiert haben (wahrscheinlich aufgrung von Imitation), wenden sie nach Erlernen der Regel diese überall an und machen dadurch Fehler (Übergeneralisierung). Solche übertriebene Anwendung der Regeln tritt ungefähr zur selben Zeit auf wie das Anwachsen der Fähigkeit der Kinder, die entsprechenden Morpheme einzusetzen.

Das Kind beginnt schon auf der Dreiwort-Stufe erste grammatische Morpheme zu gebrauchen. Trotz Schwankungen der jeweiligen Erwerbszeitpunkte beherrschten die Kinder in einer Untersuchung von BROWN dieselben Morpheme innerhalb eines bestimmten Entwicklungsabschnittes; sie lernten diese auch in der selben Abfolge zu beherrschen. Anfangs werden nur wenige Formen verwendet (Übergeneralisierung), später immer mehr. Die einzelnen Formen werden dabei immer genauer und differenzierter verwendet (z.B. Gebrauch von Präpositionen oder Vergangenheitsformen).

In folgender Reihenfolge weren die grammatischen Morpheme nach BROWN erworben:

1) Progressive Präsensform

2/3) Präpositionen in/auf

4) Plural

5) Unregelmäßige Vergangenheitsform

6) Possesivform

7) Nicht-zusammengezogene Kopula

8) Artikel

9) Regelmäßige Vergangenheitsform

10) Regelmäßige Form der dritten Person

11) Unregelmäßige Form der dritten Person

12) Nicht-zusammengezogene Hilfsverben

13) Zusammengezogene Kopula

14) Zusammenfezogene Hilfsverben

BROWN schlägt als Begründung für diese Reihenfolge folgende Alternativen vor: (1) Die grammatisch einfachsten Formen werden zuerst gelernt (grammatisch einfache Formen sind der aktiven deklarativen Form eines Verbs nahe ode rdem grundlegenden Morphem eines Nomens). (2) Semantische Komplexität kann die Reihenfolge des Lernens bestimmen. Da grammatische und semantische Komplexität stark korrelieren, ist es schwer, zwischen diesen Thesen zu unterscheiden.

Nach SLOBIN wird die Reihenfolge des Erwerbs auch durch die allgemeinen Strategien, mit denen das Kind die Sprache beherrschen will, bestimmt. Eine dieser Strategien ist die aufmerksame Beachtung der Endung eines Wortes. Diese könnte erklären, warum im Englischen Suffixe leichter als Präfixe gelernt werden.

Hier zeigt sich deutlich, daß Kinder beim Erlernen einer komplexen Fähigkeit wie der Sprache automatisch nach Regelmäßigkeiten und Regeln suchen. Um diese Regelmäßigkeiten erkennen zu können, müssen sie erst eine Reihe von Beispielen lernen, aus denen diese Regeln abgeleitet werden können. In dieser frühen Stufe lernen sie sowohl reguläre als auch irreguläre Formen als einzelnen Einheiten. Daraus bilden sie durch Ausschluß der unregelmäßigen Formen die Regeln, die sie dann, wenn ihnen ihre Übergeneralisierung bewußt wird, bei den Ausnahmen nicht anwenden.

 

 

Syntaktische Entwicklung:

Um die Syntax zu erlernen, können die Kinder die Regeln nicht direkt aus den gehörten Worten ableiten, da es sich dabei um abstrakte Einheiten handelt. Sie müssen erkennen, daß diee Worte nur Beispiele für Elemente sind, die bestimte Rollen innerhalb eines Satzes spielen. Auch hier zeigt sich die Produktivität der Sprache.

Der Satz setzt Wörter in Beziehung zueinander. Die zwei wichtigsten Schlüssel zum Verständnis von Sätzen sind die Folgen der Wörter und ihre Beugung. Die Reihenfolge, die die Wörter in Zwei-Wort-Sätzen einnehmen, wird nach BRAINE durch die Pivot-Grammaktik festgelegt (siehe oben). Nach BLOOM beginnt das Kind mit dem Wort, das die wichtigste Bedeutung hat und das den Schwerpunkt dessen, was es sagen will, beinhaltet (Verbindung zur Semantik).

BROWN beobachtete, daß Kinder beim Sprechen die Atempause so zwischen die Elemente des Satzes legen, daß diese für sich eine grammatische Einheit bilden.

 

Verarbeitung komplexer Satzstrukturen: Allein schon aus der Art, wie Kinder mit Sprachmitteln spielen, wie sie Witze und mehrdeutige Äußerungen aufnehmen, ist zu ersehen, daß sie für Oberflächenstrukturen empfänglicher sind als Erwachsene, und daß sie deshalb, wenn sie auch schon wie Erwachsene sprechen, auf einer teilweise anderen psychischen Ebene operieren. Kinder lernen demnach Sprache nicht von den abstrakten linguistischen Kategorien zu den wahrnehmbaren Oberflächenformen, sondern der Weg nimmt gerade die umgekehrte Richtung: er verläuft von "oben" nach "unten".

Es zeigt sich also wieder, daß Verstehen und Produktion von Sprache asymmetrische Vorgänge sind. Die sprachlich-linguistische Verstehenskompetenz ist der Produktionskompetenz vorgeordnet.

Eine der schwierigsten grammatikalischen Formen scheint der Passiv-Satz zu sein. Oft wird er erst nach dem siebten Lebensjahr beherrscht; nach PIAGET ist für dessen Verständnis die Umkehrbarkeit der Gedanken notwendig.

Auf diser Stufe können nun auch die Regeln der Phrasen-struktur-Grammatik angewandt werden. Mit Zunahme der Komplexität der Sprache werden elaboriertere Analysen möglich, wie Ersetzung, Auslassung und Vertauschung.

 

Wortstellung: Die Kinder analysieren die Sätze nicht nach ihrer grammatischen Struktur, sondern folgen oft der Strategie, daß das erstgenannte Nomen das Subjekt der Handlung und das an letzter Stelle genannte das Handlungsobjekt ist (sog. N-V-N-Strategie für Nomen-Verb-Nomen-Sequenz); dabei folgen sie offensichtlich der Oberflächenstruktur. Eine weitere Strategie ist die sog. Semantik-Strategie. Diese wird verwendet, wenn das Kind Sätze hört, die aufgrund seiner bisher gemachten Erfahrungen nur eine sinnvolle Interpretation zulassen; die "Weltkenntnis" bestimmt hier die Sprachkenntnis. (Beispiel: "Die Maus jagt die Katze" wird falsch verstanden.)

In englisch sprechenden Gesellschaften enthalten die ersten Sätze der Kinder typischerweise keine Beugungen oder Funktionswörter (Artikel, Pronomina, Präpositionen, Verbindungen etc); dies gilt auch, wenn die Kinder aufgefordert werden, einen Satz nachzusprechen (Telegrammstil). BRAINE versuchte zu zeigen, daß das starke Vertrauen der Kinder auf die Wortstellung darauf hindeutet, daß vor allem die richtigen Stellen eines Wortes im Satz gelernt werden. Dies nennt er die Theorie der Kontext-Generalisierung.

 

Das Verständnis des Passiv: Ob Kinder einen Passiv-satz richtig verstehen, hängt von ihrer Entwicklungs-Stufe und dem speziellen Satz ab. Nach BEVER kann das Kind sein Wissen von der Welt zur Interpretation von Passivsätzen verwenden. Dreijährige interpretieren Passivsätze (iDas Mädchen pflückt die Blume) richtig, wenn sie mit ihrem Wissen von der Welt übereinstimmen; sie verwenden eine semantische Strategie. Sätze dieser Art sind nicht-reversibel, da sie sonst unsinnig werden. Bei reversiblen Sätzen versagt die semantische Strategie. Fünfjährige interpretieren sie immer richtig. Vierjährige dagegen verstehen sie immer falsch; sie haben mittlerweile syntaktische Strategien entwickelt, die aber noch zu einfach sind. Sie verwenden die N-V-N-Strategie, die im Falle von Passivsätzen zu Fehlinterpretationen führt. Später lernen sie dan auch die richtigen Regeln für die Verwendung und Interpretation des Passiv.

 

Die Konstruktion von Fragen (im Englischen; BELLUGI): Einfach Ja/Nein-Fragesätze werden gebildet, indem das Hilfsverb vor das Subjekt gestellt wird. Kommt in einem Satz kein Hilfsverb vor, so muß es ergänzt werden. Zweijährige kennen diese Regel noch nicht; sie erhöhen eifach die Intonation am Ende des Satzes, wenn dieser als Frage gemeint war. Mit etwa drei jahren verwenden Kinder Hilfsverben. Zu dieser Zeit können sie dan auch die entsprechenden Fragen stellen. Erst im Alter von vier Jahren treten dann auch die komplizierten Tag-Fragen auf ("Mommy went, did'nt she?").

Wh-Fragen sind noch schwieriger zu bilden. Sie treten erst in verinfachter Form auf ("What Mommy doing?"), indem das richtige Fragewort einfach an den Anfang des Satzes gestellt wird. Diese Fehler treten noch auf, wenn die anderen Formen der Frage schon beherrscht werden. Erst im Alter von 5 Jahren werden auch die Wh-fragen richtig gestellt.

 

Beugungen: Auf der Drei-Wort-Stufe erscheinen die ersten Beugungen von Wörtern; die Reihenfolge des Erscheinens der verschiedenen Formen ist in allen Sprachen ähnlich uund unabhängig von der Häufigkeit der Verwendung in der Sprache der Mutter. (Reihenfolge siehe "Erwerb grammatischer Morpheme") Auf das Erscheinen regulärer Beugungen folgt regelmäßig das Phänomen der Übergeneralisierung.

 

Pluralbildung/Steigerung: BERKO untersuchte 4 1/2- und 5 1/2-jährige Kinder nach ihren grammatischen Strategien. Er gab eine Zeichnung und einen Satz vor; anschließend wurde eine geänderte Zeichnung und ein zu ergänzender Satz angeboten. (Beispiel: "Das ist ein WUG, hier sind zwei ??" oder "Der eine Hund hat QUIRKS, der zwite hat noch mehr QUIRKS; der zweite Hund ist ?? als der erste")

Die entsprechenden Regeln stellten sich mit steigendem Alter der Vpn allmählich ein, wobei es große Schwierigkeitsunterschiede zwischen den Regeln gibt. Unbekannte Wörter werden von den Kindern nach jenen Regeln behandelt, welche am häufigsten vorkommen und welche die wenigsten Ausnahmen aufweisen.

Auch hier ist das Phänomen der Übergeneralisierung deutlich: Kinder verwenden sogar dann die falsche Form, wenn sie im Satz vorher die richtige gehört haben. Hier zeigt sich wieder die Produktivität der Sprache.

 

Semantische Entwicklung:

Die Rate der Aneignung neuer Wörter ist während der frühen Kleinkindzeit langsamer als der Durchschnitt, aber zwischen 2 1/2 uhnd 3 1/2 Jahren wächst sie dramatisch an. Das rezeptive Vokabular der Kinder ist wesentlich größer als das produktive. Mit 5 Jahren umfaßt der Wortschatz etwa 8000 - 14000 Wörter; nach MILLER werden also durchschnittlich 22 Wörter täglich erlernt.

SRPUFT & COOPER glauben, daß Kinder schon Wörter verwenden, wenn sie noch nicht das Konzept der Wörter oder Namen begriffen haben. Die läßt sich möglicherweise durch Imitation erklären. Eine andere erklärung liegt im Feedback der Eltern: Durch die Lautäußerung kann das Kind bestimmte Dinge erreichen. Das Kind weiß also nur, daß ein bestimmtes verbales Verhalten zu erstrebenswerten Konsequenzen führen kann; die eigentliche Bedeutung des Wortes ist ihm dabei aber noch fremd.

Es ist für das Kind eine eindrucksvolle Erkenntnis, wenn es bemerkt, daß es auch über etwas sprechen kann, das nicht anwesend ist. Es beginnt den symbolcharakter der Sprache zu begreifen. Es beginnt, mit Verneinung und Gegenüberstellung zu experimentieren. Es fällt ihm aber noch schwer, über nicht Anwesendes oder Vergangenes zu sprechen; nach SCHAERLAEKENS kann es die ersten nicht an die Situation gebundenen Sätze mit drei Jahren bilden.

Nach BRUNER dient der Wortschatz zur Steuerung der Denkprozesse; der Umfang des Wortschatzes spielt dabei keine große Rolle. Es ist vor allem wichtig, Wörter und Begriffe in Klassen zu gruppieren, die miteinander in Zusammenhang stehen, angefangen bei ganz allgemeinen Begriffen bis hin zu speziellen Ausdrücken. Je besser man über allgemeine Begriffe verfügt, desto breiter kann man denken und Zusammenhänge herstellen. Wörter und Begriffe sind in Wortpyramiden zu ordnen, wobei oben die allgemeinen, abstrakten, umfassenden Begriffe stehen; unten sind die speziellen, konkreten Wörter. Je besser die Pyramide ausgebildet ist, desto nuancierter kann der Denkprozeß sein.

 

Organisation des subjektiven Lexikons: Wenn ein Erwachsener ein Wort gebraucht, das das Kind noch nicht kennt, muß das Kind versuchen, seine Bedeutung zu erraten; dabei kann es sich natürlich irren. Wenn es darum geht, ein Wort zu verwenden, raten Kinder aber kaum; sie scheinen zwischen dem Wissen und dem Raten der Bedeutung eines Wortes unterscheiden zu können.

Der passive Wortschatz geht den aktiven voraus, er ist dessen Vorbedingung: Wörter, die ein Kind nicht erst hörend begriffen hat, kann es selbst nicht sprechend gebrauchen. BELLUNGI gibt zu bedenken, daß man eine Reihe von gebärdenhaften Anweisungen unbemerkt erteilt, wenn man mit einem Kind spricht. Es läßt sich daher nicht sicher feststellen, ob das Kind die Wörter, die es braucht, alle begreift oder aus dem Kontext erschließt.

Kleine Kinder gebrauchen Wörter häufig anders als Erwachsene. Einerseits wenden sie ein Wort auf Ereignisse und Gegenstände an, für die der Erwachsene jeweils eigene Bezeichnungen hat (Übergeneralisierung, overextension), und andererseits definieren sie den Geltungsbereich eines Wortes sehr viel enger als wir es tun (Überdiskrimination, underextension). Nach Saltz (1972) geht es bei der Entwicklung von Konzepten vor allem um eine Veränderung von der Überdiskriminierung hin zur Integration und nicht so sehr um eine Veränderung der Übergeneralisierung zur Differenzierung; das Kind scheint also die Grenzen eines Begriffs zu erkunden. Es ist schwierig, Überdiskrimination festzustellen, da dabei ja ein Wort nicht verwendet wird; man kann sie also schwer vom Nicht-Vorhanden-Sein im Wortschattz oder von Nicht-Verwenden-Wollen unterscheiden.

 

Semantische Merkmalstheorie (CLARK): Die Grundannahme dieser Theorie ist, daß Wortbedeutungen keine zerlegbaren Ganzheiten, sondern vielmehr Konfigurationen isolierbarer und beschreibbarer Merkmale sind. Entsprechend wird die semantische Relation von Wörtern als die Relation von Merkmalskonfigurationen aufgefaßt. Dabei gelten zwei Wörter dann als synonym, wenn ihre Bedeutungen die gleichen semantischen Merkmale in der gleichen Zusammensetzung aufweisen. Ein Merkmal wird dabei als eine Bedeutungskomponente oder Bedeutungsdimension aufgefaßt, die es ermöglicht, Wörter bzw. Gruppen von Wörtern zu unterscheiden. Deshalb:

- Jedes Wort kann auf relevanten Merkmalsdimensionen als + (trifft zu) oder - (trifft nicht zu) eingestuft werden.

- Semantische Merkmale lassen sich im Hinblick auf ihre Allgemeinheit bzw. ihre Spezifität unterscheiden.

Semantische Merkmale sind nicht direkte Repräsentationen physikalischer Bedingungen, sondern vielmehr Repräsentationen kategorialer Prinzipien, mit denen reale oder fiktive, wahrgenommene oder vorgestellte Situationen und Objekte strukturiert und klassifiziert werden. Folge:

- Semantische Merkmale werden über die kognitiven Grundoperationen der Kontrastierung (Gegenüberstellung aufgrund Unterschiedlichkeit) und der Gruppierung (Anordnung aufgrund Ähnlichkeit) erworben.

- Wortbedeutungen haben eine bestimmte intra- und interindividuelle Konstanz. Diese besteht in dem, was man als die Kernbedeutung eines Wortes bezeichnen kann.

CLARK geht von folgender empirisch erhärteten Annahme aus: Kleine Kinder erwerben zunächst nur sehr generelle Merkmale, die dann im Laufe der weiteren Entwicklung durch immer spezifischere additiv ergänzt werden. Dabei leiten sich die Merkmale, die zuerst erworben werden und die einfachsten sind, aus den wahrnehmungsmäßig gegebenen Attributen der Referenten ab (semantische Merkmalshypothese): die auffälligsten Eigenschaften eines Gegenstands werden zuerst beachtet. Wenn sich das entsprechende Auffällige Merkmal auch bei einem anderen Gegenstand findet, wird mit den Eigenschaften auch der Namen übertragen (Übergeneralisierung). In den Anfangsstadien der Bildung des Wortschatzes sind Übergeneralisierungen noch sehr häufig; wenn das Kind dann mehr Wörter gelernt hat, läßt die Rate dramatisch nach. Dies liegt daran, daß ein Kind um so eher über das geeignete Wort verfügt, je größer sein Wortschatz ist. Je mehr ein Kind auf verschiedene Eigenschaften gleichzeitig achten kann, desto deutlicher sieht es die Unterschiede. Es setzt die Wörter genauer ein.

Auch wenn ein Kind einen Bus als Truck bezeichent, kann es doch das richtige Objekt auswählen, wenn es mit der entsprechenden Bezeichnung dazu aufgefordert wird. Dies deutet darauf hin, daß das Konzept Bus schon vor dem Label dafür vorhanden war (CLARK). Viele der Übergeneralisierungen der Kleinkinder sind das Ergebnis der Strategie, das angemessenste Wort zu verwenden, wenn das richtige noch unbekannt ist. Es scheint also so, als wüßten die Kinder bereits mehr über die wahre Bedeutung eines Wortes, als ihre Sprachverwendung vermuten läßt.

CLARK nimmt beim Bedeutungserwerb an, daß zuerst das positive Glied eines Wortpaares gelernt wird, da dieses von allgemeinerer Bedeutung ist und deshalb eines geringeren kognitiven Aufwandes bedarf. Von allgemeiner Bedeutung ist es deshalb, da mit ihm die Dimension als ganze angesprochen wird. Das negative Glied hingegen beinhaltet zusätzlich die Ausprägungsrichtung.

Nach CLARK sucht das Kleinkind selbst aktiv nach neuen Wörtern, wenn es sich bewußt wird, daß sein Vokabular Lücken aufweist. Ein Kind will über ein bestimmtes Merkmal eines Objekts sprechen, weiß aber die spezielle Bezeichnung dafür nicht. Wenn es später dann in Zusammenhang mit dem entsprechenden Objekt ein neues Wort hört, schließt es daraus, daß dieses die vermißte Bezeichnung sein muß.

 

NELSON geht davon aus, daß der Bedeutungserwerb seinen Ursprung in der nicht-sprachlichen Erkenntnis der Funktionen hat, die Objekte erfüllen. Ein Objekt bildet sich aus der Interaktion zwischen Kind um Umwelt heraus. Diese Erkenntnis wird durch anschließende Zuordnung eines Wortes zum funktionalen Bedeutungskern eben dieses Wortes. Im weiteren Entwicklungsverlauf muß dieser Bedeutungskern um stabile Objektmerkmale ergänzt und aus seinem für die referentielle Bedeutung irrelevanten Beziehungsfeld gelöst werden (funktionale Kernhypothese).

Die Operationen der Kontrastierung und Gruppierung werden wirksam, wenn eine schon gebildete Hypothese über die Wortbedeutung sich in der Realität nicht bewährt, also ein Konflikt zwischen vermeintlicher und tatsächlicher Bedeutung besteht:

- Das Kind nimmt etwas wahr, was einem Objekt ähnlich ist, für das es eine bestimmte Bezeichnung hat.

- Ein anderer benützt dafür aber ein Wort, das nicht mit dem von ihm gelernten übereinstimmt.

- Daraufhin wird das Kind auf Attribute aufmerksam, die das neue Objekt auszeichnen.

Das Kind ist auch von sich aus zum Attributvergleich und der Isolierung unterschiedlicher Merkmale in der Lage, die dann den Ausgangspunkt für die Differenzierung vorhandener und die Einführung neuer Wörter bilden. Das Kind muß auch lernen, kriteriale Attribute (die üner die Klassenzugehörigkeit entscheiden) von rauschenden Attributen (die die Klassenzugehörigkeit nicht beeinflussen) zu unterscheiden.

Je geringer ein Kind die Ähnlichkeit zwischen neuer Instanz und schon bekannter wahrnimmt, um so eher wird erkannt, daß die neue Instanz einer anderen Kategorie zugehört. Hier ist der Ursprung der häufigen "Wie-heißt-das"-Fragen zu sehen. Auch das einzelne Objekt oder der einzelne Gegenstand können eine Klasse bilden.

 

 

Situative und kontextuelle Determinanten des Sprachgebrauchs:

Gleichbleibende inhaltliche Information kann unterschiedlich ausgedrückt werden, so daß jeweils eine andere Beziehung zum Partner hergestellt wird. Kinder müssen lernen, von ihren sprachlichen Mitteln so variabel Gebrauch zu machen, daß sie in verschiedenen Situationen gegenüber verschiedenen Personen Verständlichkeit und Verständigung erzielen ("Elaboration kontextspezifischer Formen sprachlichen Handelns"). Jedes Ding hat nicht nur einen, sondern verschiedene Namen. Deshalb hängt die Wortwahl von den Bedingungen des Objektkontextes ab (OLSON); es gibt eine Wort-Referent-Beziehung:

- Wörter sind nicht einfach Namen von Dingen.

- Bedeutung ist die Information, die dem Hörer eine Wahl zwischen Alternativen erlaubt.

- In einer Äußerung sind nicht alle möglichen Attribute des wahrgenommenen Objekts enthalten.

- Das Wort bzw. die Bezeichnung enthält mehr Information als die visuelle Wahrnehmung des Ereignisses.

Sind zwei Attribute in gleicher Weise diskriminativ, wählt das Kind dasjenige, das es aufgrund seiner bisherigen Lernerfahrung für das wichtigere hält. Will das Kind einen bestimmten Gegenstand bezeichnen, muß es auch die Eigenschaften des Objekts erkennen und von dieser Erkenntnis angemessen Gebrauch machen. Dazu muß es folgende Voraussetzungen erfüllen (HERRMANN & DEUTSCH):

- Kognitive Voraussetzung des operatorischen Denkens,

- Voraussetzung der Klassifikationsfähigkeit,

- Voraussetzung der semantischen Flexibilität und

- Voraussetzung der Eingeübtheit im situationsspezifischen Wortgebrauch.

 

Erweiterung von Sprechhandlungen: GRIMM stellte fest, daß direktive Sprechhandlungen (Bitte, Befehl, Verbot, Erlaubnis) verschieden schwierig sind. Besonders den Fünfjährigen fällt es noch schwer, eine Erlaubnis sprachlich adäquat auszudrücken. Befehlen können sie hingegen ausgezeichnet. Die Sprechhandlung des Versprechens ist für alle Kinder äußerst schwierig.

Das reflexive Sprachverständnis selbst der Siebenjährigen ist erst unvollkommen ausgebildet. Sie vermögen noch nicht über die Kommunikation selbst zu kommunizieren. Dies gelingt erst, wenn sie zum reversiblen Denken in der Lage sind, das ihnen erlaubt, ihre Beziehungen zu einem anderen quasi von der Position eines neutralen Dritten aus zu reflektieren (HABERMAS).

Metapher: Durch die mangelnde Fähigkeit zum reversiblen Denken ist dem Kind die Konventionalität der Zeichen noch nicht voll bewußt und es bringt deshalb auch noch kein Verständnis für metaphorische Redeweisen auf. Eine Metapher ist nach HÖRMANN eine "Sprachfigur, die durch erstes semantisches Nicht-Passen ein Zögern verursacht, den Verstehensprozeß bewußter macht und ihn dann durch Einbeziehung einer ungewohnten Denkperspektive seiner kommunikativen Aufgaben besonders treffend gerecht werden läßt." Für das Verstehen einer Metapher müssen also kognitive Voraussetzungen gegeben sein. BILLOW kennzeichnet diese genauer, indem er für das Verständnis von Ähnlichkeitsmetaphern konkret operationale und für das Verständnis von Analogie-Metaphern formal operationale Mechanismen im Sinn von Piaget ansetzt.

 

 

Bettmonologe:

Wenn das Kind alleine im Bett liegt, übt es alles, was zu seinem sprachlichen Repertoire gehört (Laute, Bedeutungen, Satzbau und Konjugation). Es werden auch allerlei neue Kombinationen ausprobiert. In solchen Situationen ist das Kind ganz auf sich selbst gerichtet und entspannt; hier liegt ein Beweis vor, daß das Kind nicht nur spricht, wenn es dafür verstärkt wird.

Dieselbe Art, sich schöpferisch mit der Sprach auseinanderzusetzen, ist bei älteren Kindern in ihren Sprachspielen festzustellen. Es macht ihnen Spaß, sich merkwürdige Wörter auszudenken, verrückte Reimworte und Unsinnliedchen zu finden. Auch hier liegt keine direkte Kommunikationsabsicht vor.

 

 

 

7. Theoretische Interpretationen:

Verstärkung, Imitation, Konstruktion

 

 

Lerntheoretische Erklärung:

Die allgemeinen verbalen Verhaltens und des Spracherwerbs sind nach den Lerntheoretikern auf Verstärkung, Kontiguität und Nachahmung zurückzuführen.

 

Die einfachste Erklärung wäre, daß Kinder Wort-zu-Wort-Abhängigkeiten, oder Assoziationen, lernen, indem sie sie in der Sprache der erwachsenen hören. Damit läßt sich aber die Komplexität der Sprachverwendung nicht erklären. Nach JENKINS & PALERMO werden Sätze als eine Ansammlung von Wörtern wahrgenommen, die fundamentale kategorien wie Nomen, Verb etc enthält. Hier handelt es sich um eine finite-state-Grammatik (CHOMSKY): Diese Grammatiken bestehen aus einer begrenzten Anzahl von Zuständen, die durch Übergänge verbunden sind. Beim Übergang von einem Zustand zum nächsten werden Wörter produziert. Die Zustände sind grammatische Klassen; die Übergänge sind die Assoziationen zwischen diesen Klassen.

 

Nach SKINNER erlernt das Kind die Sprache folgendermaßen: In der vorsprachlichen Phase bildet es zunächst spontane nicht-reaktive Laute, die im Gegensatz zu reaktiven ("elicited") Responses als "emitted" Responses oder Operants bezeichnet werden. Diese ersten Anfänge der Artikulation stellen das Rohmaterial für den darauffolgenden Gestaltungsprozeß ("shaping") durch andere Personen dar. In zunächst noch sehr großzügiger Weise, dann immer restriktiver selektiv verstärkt, nähern sich die kindlichen Laute allmählich den Lauten der Erwachsenen an. Welche Laute dabei zuerst erworben werden, hängt von der Häufigkeit ihres Auftretens ab. Entsprechend soll das ganze verbale Repertoire aufgebaut werden: Nach den Lauten kommen Wörter, dann kürzere und immer längere verbale Sequenzen bis hin zu komplexen Äußerungsformen. Gegen diese These spricht, daß Kinder auch ohne Verstärkung eine Sprache erlernen und auch häufig mit sich selbst sprechen, wenn niemand da ist, um sie zu verstärken. Nach SKINNER kann der Zuhörer die Form und den Inhalt verbaler Responses beeinflussen. Ein bestimmtes verbales Verhalten hat oft mehrere Gründe, die sich aufgrund akkumulierter vergangener und gegenwärtiger Stimuli ergeben.

Mands sind Äußerungen, die von Triebzuständen gesteuert werden ("Hunger!"). Sie stehen in keiner besonderen Beziehung zu einem vorangehenden verbalen Stimulus und sie dienen vor allem dem Wohl des Sprechers. Tacts sind Benennungen für physische Objekte oder Ereignisse oder die Eigenschaften von Objekten oder Ereignissen. Mands werden gelernt, indem auf ihre Äußerung hin der entsprechende Wunsch erfüllt wird; sie werden also verstärkt. Verwendet ein Kind Tacts richtig, erhält es dafür soziale Verstärkung ("Gut!").

SPIELBERGER fand heraus, daß die Verstärkung sprachlicher Äußerungen nur wirksam war, wenn die Vpn sich der Kontingenzen zwischen Belohnungen uund Bestrafungen bewußt waren. Die Bewußtheit ist wichtiger als die Verstärkung selbst!

Es ist aber möglich, daß ein allgemeiner kommunikativer Druck in Richtung auf grammatische Sätze existiert: Das Kind kann seine Ziele eher erreichen, wenn es wohlgeformte Sätze dazu einsetzt. BROWN & HANLON fanden aber keinen Unterschied in der Häufigkeit der Erfüllung geäußerter Wünsche, ob diese nun grammatisch korrekt oder inkorrekt geäußert wurden.

Gegen den spracherwerb durch Verstärkung sprsicht auch folgende Beobachtung von SCHIEFFLIN & OCHS: Die Mütter des Stammes der Kaluli (Neuguinea) glauben, daß ihre kinder noch nicht zur Kommunikation fähig sind oder verstehen, was in ihrer Gegenwart gesagt wird. Soie blicken ihre kinde rnicht an; wenn sie über ihre Babies sprechen, hängen ihre Kommentare nicht mit dem momentanen Verhalten des Kindes zusammen. Dennoch lernen die Kinder die Sprache normal und ohne Verzögerung.

 

Die Kontext-Generalisierungs-Theorie von BRAINE basiert auf Skinner's Vorstellungen. Wenn ein Kind Sätze hört, bemerkt es, daß bestimmte Wörter und Phrasen zuverläüssig bestimmte Positionen einnehmen; es lernt, auf dieser Basis der Positionen bestimmte Wörter und Phrasen zu klassifizieren. Aus Zwei-Wort-Äußerungen werden Drei-Wort-Sätze, weil das Kind die relativen Positionen von Wörtern beobachtet. Wenn ein Kind den Aufbau einer Phrase gelernt hat, lernt es, an welchen Stellen die Phrase in komplexeren Phrasen auftaucht.

Dieses progressive Lernen der Einbettungs-Regeln der Phrasen-Struktur bringt das Kind auch dazu, die hierarchische Natur des Satzes zu verstehen. Damit läßt sich erklären, wie Kinder neue Äußerungen hervorbringen können.

Weil das Kind anstelle von grammatischen Klassen die Position von Wörtern und Morphemen lernt, kann es Elemente kombinieren und re-kombinieren, um eine sehr große Zahl an akzeptierbaren Äußerungen zu bilden.

 

Lernen als Konditionierung:

Betrachtet man Sprachlernen als Sonderfall der klassischen Konditionierung, so nimmt man an, daß das bezeichnete Objekt durch das Zeichen ersetzt wird.

Die Annahme instrumenteller Konditionierung geht von einer Response-Substition aus, so daß ein weniger ökonomischer Response durch einen verbalen ersettzt wird. Das Kind lernt durch Versuch und Irrtum die Sprache.

 

Mit diesen Thesen kann aber nicht die hohe Geschwindigkeit des Spracherwerbs erklärt werden. Die Eltern warten auch nicht darauf, daß im Strom des Lallens zufällig ein Wort oder eine wortähnliche Äußerung auftaucht, die dann durch selektive Belohnung verstärkt wird. Sprachlernen basiert nicht auf Versuch und Irrtum. Ein weiterer Schwachpunkt der Theorien, die Spracherwerb durch Nachahmung erklären wollen, ist der Erwerb der grammatischen Regeln beziehungsweise die daraus folgende Kreativität.

Nach Vertretern der Verstärkungtheorie lernt das Kind solche Äußerungen, mit denen es seine Umgebung steuern kann. Es erlernt aber auch Aspekte der Sprache, die keine zeichenfunktion haben. Außerdem könnte das Kind auch ohne Sprache auskommen (es müßte nicht verhungern).

Eine gewisse Art von Nachahmung muß aber vertreten sein, sonst würde das Kind nicht die Sprache, die in seiner Umgebung gesprochen wird, erlernen. Es läßt sich feststellen, daß das Kind nur relativ selten die Äußerungen eines erwachsenen imitiert, wenn es erst einmal die frühen Stadien des Spracherwerbs hinter sich hat. Nach WHITEHURST & VASTA kan man ein Kind auch kaum dazu bewegen, Äußerungen nachzuahmen, deren grammatische struktur komplexer ist als es der Entwicklungsstufe des betreffenden Kindes entspricht.

 

 

Rolle der Nachahmung:

Auch der Mechanismus der Imitation (Nachahmung) kann für sich genommen den Erwerb der Sprache nicht erklären. Als Erklärung der zunehmenden Ähnlichkeit der Sprache des Kindes und des Erwachsenen wird Nachahmung oft als kausaler Faktor angenommen, aber dieser Schluß ist keineswegs zwingend. Wäre Nachahmung der entscheidende Faktor, müßte die Häufigkeit des Vorkommens bestimmter Wörter oder syntaktischer Strukturen in der Erwachsenensprache hoch mit der Reihenfolge des Erwerbs durch das kind korrelieren; dies ist jedoch nicht der Fall.

Wer Nachahmung als den entscheidenden Faktor des Spracherwerbs postuliert, sieht Sprache oft als eine riesige Ansammlung von Wörtern und Sätzen an, die sich das Kind allmählich aneignet.

 

 

Einiges spricht dagegen:

Logische Probleme: Ein wichtiges logisches Problem ist, daß die Entwicklung sehr schnell geht. Nach den finite-state Grammatiken müßten die Kinder alle akzeptierbaren Übergänge zwischen grammatischen Klassen lernen; das ist in der kurzen Zeit der Kindheit unmöglich.

Auch die Einbettung eines Teilsatzes in einem anderen Satz und rekursive Beziehungen kann nicht durch kontextuelle Generalisierung erklärt werden, da die Rekursion selbst eine abstrakte Regel ist, die nicht direkt beobachtbar ist (McNEILL).

Eine weitere Schwachstelle aller lerntheoretischen Erklärungen ist, daß sie das Konzept der Tiefenstruktur nicht verwenden; Sätze mit gleicher Oberflächenstruktur aber unterschiedlicher Tiefenstruktur lassen sich deshalb nicht unterscheiden.

 

Empirische Befunde: Die Nachahmungstätigkeit ist mehr als ein bloßes Nachplappern. In ihren unterschiedlichen Ausprägungsformen ist sie vielmehr als eine ganzheitliche Strategie der Sprachverarbeitung aufzufassen:

- Kinder behalten und verwenden einige Ausdrücke, die sie gehört haben.

- Die gehörte Information wird durch das eigene Fähigkeitssystem gefiltert. Das Kind löst aus der Sprache der Lernumwelt Operationseinheiten heraus, die größer als ein Wort sind.

- Kinder versuchen, sich Grundmuster gehörter Äußerungen für den eigenen Sprachausdruck nutzbar zu machen.

Das Kind besitzt sprachliche Kreativität auf der Grundlage innersprachlicher Regeln; ihre Gesetzmäßigkeit kommt von innen, was man z.B. bei der Übergeneralisierung deutlich erkennen kann (Beispiel: Backhaus für Bäckerei). Über die Bildung eigener, kreativer Konstruktionen eignet sich das Kind nachkonstruierend das schon strukturierte Erfahrungsmaterial der Sprache an. Hierfür geht es analysierend an die Sprache heran: Es segmentiert einzelne Wörter, bildet (unbewußt) Hypothesen über deren kategorialen und regelhaften Status und konstruiert auf dieser Grundlage seine Äußerungen. Können diese Äußerungen von anderen nicht adäquat erfaßt werden oder führen sie nicht zu dem erwünschten Erfolg, so werden die Hypothesen verändert oder ganz verworfen. Im umgekehrten Fall, d.h. bei Bestätigung durch die Erfahrung, werden die Hypothesen beibehalten.

Gegen ein Lernen durch Nachahmung spricht auch, daß die Reihenfolge der Aneignung bestimmter Morpheme nicht mit der Häufigkeit der Verwendung dieser in der Sprache der Erwachsenen zusammenhängt.

---> Es scheint also, daß das Kind ein eigenes Regelsystem , das in der Sprache der Erwachsenen nicht existiert, verwendet. Dis wird auch deutlich, wenn Kinder die Äußerungen von Erwachsenen nachsprechen sollen: Sie sprechen sie dann so, wie wenn sie sie selbst konstruiert hätten (Telegrammstil; ERVIN).

 

Man kann den Spracherwerb auch als einen Prozeß der induktiven Extrapolation betrachten. Dabei wird davon ausgegangen, daß der ganzheitlichen Verarbeitungsstrategie vor allem eine Orientierungs- und Steuerfunktion zukommt: Das Kind übernimmt solche Sprachäußerungen aus der Umwelt, die es häufig hört, und die für seine Wünsche und Bedürfnisse von Bedeutung sind. Diese Äußerungen memoriert es, so gut es kann und ruft sie in dieser memorierten Form auch wieder ab. Durch den variablen Gebrauch dieser Formen erkennt es dann allmählich, daß deren einzelne Positionen durch verschiedene Wörter besetzt werden können. Aus Wörtern in den selben Positionen werden Kategorien und aus deren Abfolgen syntaktische Wortstellungsregeln generalisierend abgeleitet.

Das Kind operiert nicht nur auf der Wortebene, sondern auch, und gerade am Sprachbeginn, mit größeren Einheiten. Es ist nicht nur kognitiv motivierter Analysator, sondern auch und zuerst sozial und emotional motivierter Imitator. Die sprachlichen Gesetzmäßigkeiten kommen nicht nur von innen, sondern auch von außen.

 

 

Der kognitive Ansatz:

 

Merkmale des kognitiven Ansatzes: Das größte Problem der Theorie vom LAD ist, daß dessen Mechanismen nicht näher erklärt werden. Außerdem erscheint die relativ kurze Zeitspanne von 10.000 bis 100.000 Jahren nicht für die Evolution eines so komplexen Mechanismus zu reichen. Außerdem zeigen sich doch beträchtliche Unterschiede im Spracherwerb zwischen den Kulturen. Nach SLOBIN ist das einzig wirklich universelle, daß die Kinder die rein syntaktischen Merkmale ihrer Sprache viel später als die semantischen und phonologischen Aspekte erlernen.

Die kognitive Theorie geht davon aus, daß der Spracherwerb nicht mittels eines vererbten Mechanismus erfogt, sondern durch allgemeine kognitive Mechanismen; eine Menge von Lern-Prinzipien oder Schlußfolgerungs-Regeln, die nicht nur für den Spracherwerb dienen. Sie repräsentieren eine allgemeine Kapazität von Menschen, Kategorien zu lernen und vorhersagbare Information zu verarbeiten. Es ist eine Art CAD (cognitive acquisition device), das es dem Kind ermöglicht, eine unbegrenzte Menge an neuen, bedeutungsvollen Äußerungen zu erzeugen und zu verstehen.

Die neueren Studien mit "sprechenden" Affen legen auch einen Standpunkt zwischen dem lerntheoretischen und dem nativistischen nahe: Die bei den Affen vorhandene theoretische Kapazität, ihre Intelligenz zur Kommunikation zu verwenden, ist auf geeignte Techniken von außen angewiesen.

Der kognitive Ansatz betont Differenzierung: Manche allgemeinen kognitiven Mechanismen, die nicht sprach-spezifisch sind, induzieren aus Information (linguistischer und nicht-linguistischer) eine Grammatik für das Kind. So braucht man kein Motor Acquisition Device, Visual Acquisition Device oder ähnliches zu fordern; es scheint effizienter, von einer angeborenen Menge von Strategien auszugehen, die allgemein genug sind, um den relativ schnellen Erwerb all dieser komplexen Fähigkeiten zu erklären.

Der kognitive Ansatz betrachtet die Sprachperformanz als Tür zu den komplexen Repräsentationen der Realität des Kindes, die aus sprachlichen und sozialen Informationen, Wissen über die physikalische Welt etc besteht. Die Interaktion all dieser Wissensformen führt zu den Äußerungen, die wird hören (Performanz).

 

Kognitive Strukturen und Spracherwerb: Wenn sich die kognitiven Kapazitäten des Kindes entwickeln, beginnen sie die Bedeutung von Konzepten zu begreifen; sie wollen diese dann auch anderen Menschen mitteilen. Der Bedarf an Kommunikation motiviert zum erwerb von Wörtern und später von grammatischen Regeln. Was die Kinder über Begriffe und Bedeutungskategorien wissen, hilft ihnen, die Grammatik der Sprache, die sie hören, zu analysieren (MARATSOS).

Nach SHORE hängt der Spracherwerb mit der Entwicklung anderer kognitiver Fertigkeiten, wie symbolischen Spiel, Gedächtnisentwicklung oder der Fähigkeit, mit Klötzen zu bauen, zusammen. Sie fand jeweils Korrelationen; dies widerspricht der nativistischen Anschauung.

Eine Reihe von Studien untersuchte den Erwerb der Syntax unter dem Blickwinkel der Bedeutung, die das Kind ausdrücken will (z.B. BROWN's strukturelle Beschreibung der Zwei-Wort-Äußerungen). MACNAMARA schlug vor, daß kleine Kinder nicht-linguistische Informationen verwenden, um die Bedeutung und die zugrundeliegende Form einer Äußerung zu verbinden. Die Grundannahme dabei ist, daß der Einjährige bereits eine Menge über die Welt weiß, bevor er zu sprechen beginnt.

Eine andere kognitive Voraussetzung ist das Wissen, daß Wörter für Dinge stehen können. Konsistenz bei der Paarung von Wörtern mit einzigartigen Objekten in der Umwelt entwicklet sich langsam (Ein-Wort-Stadium: Wort wird zur Bezeichnung verschiedener Dinge verwendet). Nach MACNAMARA lernen Kinder Sprache, indem sie auf bestimmte Items des Vokabulars achten (z.B. Nomen und Adjektive) und bemerken worauf sie sich beziehen und dann daraus die semantische Struktur , die der Botschaft zugrundeliegt, erschließen. Das Kind lernt die Syntax nicht direkt, sondern durch Vermittlung nicht-linguistischer konzeptueller Information und linguistischer semantischer Information. Der Spracherwerb erfolgt aktiv (MARATSOS).

Nach BEVER kann das Kind z.B. folgende Strategien verwenden: Achte auf das Ende der Wörter (um Information über Plural, Besitzverhältnisse etc. zu erlangen)! Wenn ein Satz der Form N-V-N auftaucht, nimm an, daß das erste Nomen der Agent ist, das zwite Nomen das Objekt mit dem gehandelt wird.

Nach BOWERMAN bildet das Kind in der vorsprachlichen Phase ein Repertoire von kognitiven Konzepten oder Mitteln, die Welt zu kategorisieren und zu verstehen. Wenn das Kind die Sprache erwirbt, muß es erkennen, daß die linguistischen Mittel diese Konzepte ausdrücken.

 

Unterstützende Daten: MOESER & BREGMAN fanden Unterstützung für die These von MACNAMARA in einer Studie über das Lernen der Syntax einer künstlichen Sprache bei Erwachsenen. Das Erlernen von komplexen Merkmalen war nur möglich, wenn wenn diese Eigenschaften der Dinge wiederspiegelten.

SLOBIN fand, daß die Reihenfolge der Entstehung verschiedener syntaktischer Formen der russischen Sprache auf der relativen semantischen Schwierigkeit beruht, nicht auf der grammatischen Komplexität. Außerdem erscheinen Wörter einer bestimmten semantischen Kategorie ungefähr zur selben Zeit wie der grammatische Ausdruck dieser kategorie.

Nach CROMER findet die Entwicklung sprachlicher Strukturen auf zwei Arten statt: Eine beinhaltet den Gebrauch von Wörtern, die bereits im Vokabular sind, um neue Ideen auszudrücken. Der zweite Weg besteht in der aktiven Suche nach einer Form, die eine neue Idee ausdrücken kann.

 

Die Rolle des linguistischen Inputs: Nach MACNAMARA und auch andern ist die Sprache der Eltern für die frühe Sprachentwicklung besonders wichtig, weil sie oft linguistische Information zusammen mit nichtlinguistischen Inputs bietet. Der sprachliche Input für ein Kind ist viel zu komplex und unregelmäßig, um über die syntaktischen Regeln zu informieren, wenn nicht vor-geformte linguistische Kategorien vorliegen. Baby-Talk ist speziell auf die Bedürfnisses des Kindes zugeschnitten. Auch die Expansioen der Mutter bieten eine geeignete Hilfe.

---> Die Wurzeln der Sprache des Kindes sollten in seiner aktiven Beziehung zur Welt gesucht werden. Die linguistische Kompetenz ist nicht intuitiv, sondern das Ergebnis von langen und dramatischen Leistungen, die anfangs durch vorsprachliche Merkmale genährt werden und durch den kognitiven Kontakt des Kindes mit seiner sprechenden Umwelt zur Entfaltung gebracht werde

 


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Last modified 10-29-98